Mahnmal-Projekt-Leimen Erinnerung und Mahnung
 

Berichte

Alle Berichte stammen von Martin Delfosse.
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22.06.2010 "Mahnmal-Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt"
22.06.2010 RNZ
08.09.2010 "Zwei Gedenksteine zur Erinnerung und Mahnung"
22.10.2010 "70.Jahrestag der Deportation badischer Juden"
30.05.2011 "Mahnmal-Projekt Leimen erhielt Besuch aus New York"
05.09.2011 "Wir müssen uns erinnern - auch wenn es weh tut!"
27.01.2012 "Holocaust-Gedenktag"
07.11.2012 "Gedenken inmitten der Stadt"
26.01.2013 "Der Opfer gedenken, wo die Täter begraben liegen?"
25.03.2013 "Der zukünftige Standort für das Mahnmal steht fest"
26.03.2013 RNZ
09.11.2013 RNZ
11.11.2013 RNZ
22.10.2014 "70 Jahre lang"
24.10.2014 RNZ
22.10.2015 RNZ
22.10.2015 "75. Jahrestag der Deportation"
09.11.2016 "Schwamm drüber!?"
11.11.2016 RNZ
09.11.2017 "Gurs-Gedenken am 9.November 2017"
11.11.2017 RNZ
08.05.2020 "Plädoyer für eine neue Erinnerungskultur"
22.10.2020 "Gemeinsames Wort der Leimener Kirchen"


Bericht vom 22. Juni 2010

Mahnmal-Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt

Am 15.Juni 2010 fand die Informationsveranstaltung zum Leimener Mahnmal-Projekt im Rosesaal statt, der immerhin mindestens bis zur Hälfte gefüllt war. Oberbürgermeister Wolfgang Ernst begrüßte die Gäste und zeigte sich erfreut darüber, dass dank des Engagements von drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen dieses Mahnmal-Projekt nun auch in Leimen durchgeführt wird.

Die drei Initiatorinnen des Mahnmal-Projekts wurden dann von ihrem Klassenlehrer und Projektbetreuer Herrn Delfosse näher vorgestellt. Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht haben sich während ihrer Projektprüfung in der 9.Klasse mit dem Thema „Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus“ beschäftigt. Im Verlauf dieses Schulprojektes haben sie sich dazu entschlossen zusätzlich in ehrenamtlicher Arbeit dieses Mahnmal-Projekt durchzuführen. Sie sind in Leimen auf Spurensuche gegangen nach den jüdischen Mitbürgern, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen nach Gurs in Südfrankreich verschleppt wurden. Ein solch couragierter Einsatz von 15-jährigen Jugendlichen ist bewundernswert und verdient höchste Anerkennung.


Ehe die drei Jugendlichen ihre Rechercheergebnisse mit einer Powerpoint-Präsentation vorstellten, erläuterte Herr Jürgen Stude, der Landesjugendreferent der badischen Landeskirche, der mit einer katholischen Kollegin dieses Projekt landesweit betreut, die Hintergründe dieses Mahnmal-Projekts und ging dabei auch auf den historischen Vorgang der Deportation im Oktober 1940 ein:

Die damaligen NS-Gauleiter von Baden und der Saarpfalz veranlassten am 22.Oktober 1940 die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung aus ihrem Herrschaftsbereich nach Frankreich, um ihre Gaue als erste im Deutschen Reich als „judenfrei“ erklären zu können. Rund 6000 Personen wurden mit neun Sonderzügen der Reichsbahn in das Lager Gurs interniert. Das mit Stacheldraht umzäunte Lager hatte weder sanitäre Anlagen noch Trennwände oder Fensterglas und etwa 60 Menschen wurden in einer Baracke zusammengepfercht. Seuchen, Kälte, fehlende Nahrungsmittel und Medikamente forderten in den Wintermonaten von November 1940 bis April 1941 viele Tote.

Aus insgesamt 137 badischen Gemeinden wurden die jüdischen Mitbürger verschleppt. In jedem der Deportationsorte sollen Jugendliche sich mit der Geschichte ihres Ortes auseinandersetzen und zwei Gedenksteine gestalten, so die Idee des Jugendprojektes. Einer der beiden Steine erhält einen angemessenen Ort in der jeweiligen Gemeinde, der andere wird Teil des zentralen Mahnmals in Neckarzimmern. Zum 70.Jahrestag der Deportation werden dort am 17.Oktober 2010 um 14 Uhr im Rahmen einer öffentlichen Gedenkfeier weitere Steine eingeweiht, darunter auch ein Stein aus Leimen.

Die drei Schülerinnen eröffneten ihre Präsentation mit einem kurzen geschichtlichen Überblick über die jüdische Gemeinde in Leimen und ihre Synagoge auf dem Rathausplatz, die ca. 1905 abgerissen wurde. Danach folgte eine Fülle an Bildern und Dokumenten von den aus Leimen deportierten vier jüdischen Mitbürgern, Hugo und Karolina Mayer, Karoline und Selma Bierig, die alle in der damaligen Rohrbacherstr. 2, dem heutigen Anwesen der Familie Riehm wohnten. Darunter waren sowohl Briefe aus dem Jahr 1939 aus Leimen, als auch Briefe von 1940-1942 aus den Internierungslagern Gurs und Noe. Die Schülerinnen gelangten in den Besitz dieser aufschlussreichen Dokumente, nachdem sie Nachfahren der aus Leimen verschleppten Juden in Amerika ausfindig machen konnten. Am 27.Januar 2010, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, gelang ihnen die Kontaktaufnahme, die für alle Beteiligten sehr bewegend war.

Von den Schülerinnen wurden dann ausgewählte Zitate aus den Briefen vorgetragen. Die Zeilen aus Leimen aus dem Jahre 1939 zeigen doch sehr deutlich, dass wie überall in Deutschland auch die Situation der Leimener Juden durch Unterdrückung und Ausgrenzung gekennzeichnet war. In den Briefen aus dem Lager Gurs und Noe spiegelt sich sowohl die Not, die in diesen Lagern herrschte, als auch die Hoffnung, an der Hugo und Karolina Mayer bis zum Ende ihres Lebens festgehalten haben. Die letzten Zeilen, die uns von Hugo Mayer in einem Brief vom 30.März 1941 erhalten sind, lauten: „Meine große Freude ist es nur die von euch zu erfahren das es Euch allen gut geht gesund und munter seid gut zusammen auskommt und mein einziger Wunsch ist nur Euch allen liebe Kinder gesund zu treffen zu sehen zu sprechen … wenn es Gott will so wird es noch in Erfüllung kommen.“ Er starb zu Beginn des Jahres 1942, er wurde 78 Jahre alt. Die letzten Zeilen, die uns von Karolina Mayer in einem Brief vom 9.September 1942 erhalten sind, lauten: „Hoffe doch daß es Euch gut geht und Ihr glücklich und zufrieden miteinander seid. Mir selbst geht es gesundheitlich gut. Glaube nun ziemlich sicher, daß ich nun vorerst hier bleiben kann. … So Gott will wird das neue Jahr zum Frieden führen und seit für heute noch herzlich gegrüßt und geküsst von Eurer Mutter.“ Karolina Mayer wurde bald darauf von Noe nach Auschwitz verschleppt und wurde dort ermordet. Sie wurde 63 Jahre alt.


Zur Zeit des früheren Oberbürgermeisters von Leimen Herbert Ehrbar gab es laut Informationen der jüdischen Nachfahren in Amerika einen sehr langen Briefwechsel zwischen den Kindern von Hugo und Karolina Mayer und der Stadt Leimen, in dem die Kinder darum baten, dass man in Leimen in geeigneter Weise ihrer Eltern gedenkt. Die Stadt Leimen hatte offenbar große Schwierigkeiten diesem Wunsch zu entsprechen. Jedenfalls entschied man sich am Ende dazu, dass in St.Ilgen der Platz vor der alten Zigarrenfabrik zum Hugo-Mayer-Platz ernannt wurde und an der Zigarrenfabrik eine Gedenktafel angebracht wurde. Wahrscheinlich wurde dieser Ort aufgrund der Namensgleichheit mit den früheren Inhabern der Zigarrenfabrik, den Gebrüdern Mayer ausgewählt, die allerdings aus Mannheim kamen und mit Hugo Mayer nichts zu tun hatten. Hugo Mayer war stattdessen von 1899 – 1918 der Besitzer der Bergbrauerei Leimen.

Die Präsentation der Schülerinnen endete schließlich mit einem Spendenaufruf zur Finanzierung der Gedenksteine. Sie haben vor die Gedenksteine so zu gestalten, dass die in den Briefen zum Ausdruck kommende Hoffnung sich symbolisch widerspiegelt. Wer dieses Mahnmal-Projekt unterstützen möchte, kann gerne auf das Konto der Evangelischen Kirchengemeinde Leimen bei der Volksbank Wiesloch etwas überweisen. Bitte geben Sie unbedingt als Verwendungszweck das Stichwort „Mahnmal“ an, damit Ihre Spende richtig zugeordnet werden kann.

Zur Finanzierung der Gedenksteine bitten wir um Spenden!
Empfänger: Ev. Kirchengemeinde Leimen
Konto-Nr.: 200417
BLZ: 672 922 00 Volksbank Kraichgau
Verwendungszweck: Mahnmal

In Gesprächen rund um die Informationsveranstaltung begegnete mir mitunter die Auffassung „Kann man dieses Thema nicht irgendwann auf sich beruhen lassen?“ Ich denke, dass jede Generation aufs Neue sich diesem Thema stellen muss. Damit die Opfer nicht in Vergessenheit geraten, kann es keine Alternative geben zu diesem Erinnern und Gedenken, so schmerzhaft und unangenehm dies auch sein mag, dass auch in Leimen, also vor der eigenen Haustüre sich die Verfolgung der Juden abspielte.

Wie sieht es mit dieser Erinnerungsarbeit in Leimen aus?

Jugendliche haben den Anfang gemacht und eine öffentliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Ortsgeschichte Leimens begonnen. Viele unbequeme Fragen sind jedoch unbeantwortet geblieben! Mögen die Gedenksteine nicht nur an die Opfer erinnern, sondern uns alle mahnen, dass die Erinnerungsarbeit vor Ort in Leimen weitergehen und tiefer gehen muss!

RNZ-Artikel vom 22.Juni 2010

Drei Schülerinnen erinnern an das Schicksal der Juden in Leimen

Projektarbeit von drei 15-jährigen Mädchen ist Teil des „Ökumenischen Jugendprojekts Mahnmal“

Von Werner Popanda

Leimen. Bis zum 22. Oktober 1940 lebten Karoline und Selma Bierig sowie das Ehepaar Karoline und Hugo Mayer gemeinsam in der Rohrbacher Straße 2 in Leimen. An diesem Dienstag stand frühmorgens aber plötzlich die Staatsgewalt vor ihrer Haustür. Sie wurden aufgefordert, einen Koffer zu packen. Einige Stunden später brachte man sie zum Bahnhof. Dort bestiegen sie einen Zug ins südwestfranzösische Gurs. Nicht einer dieser vier Menschen sollte in seine Heimatstadt Leimen zurückkehren.

Recherchiert wurde dieses Geschehnis aus dem düstersten Kapitel der deutschen Geschichte von Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht, allesamt 15 Jahre jung und Neuntklässlerinnen an der St. Ilgener Geschwister-Scholl-Schule. Anlass für ihre Nachforschungen war – wie das Trio unisono erklärte – die in dieser Klasse obligatorische „Projektprüfung“. Laut ihrem Lehrer Martin Delfosse ernteten sie für ihre hervorragende Gemeinschaftsarbeit schließlich drei Mal die Note 1,0.

Nun ist diese Untersuchung obendrein Teil eines größeren Vorhabens geworden, nämlich des „Ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal für die deportierten Jüdinnen und Juden Badens“ (siehe auch nebenstehender Artikel).

Dass der 22. Oktober 1940 in der Tat nichts anderes als der, so Jürgen Stude, der Leiter des Jugendprojektes, „schwarze Tag in der Geschichte Badens“ war, belegt beispielsweise der ergreifende, von den drei Schülerinnen jetzt im Rahmen einer Informationsveranstaltung präsentierte Brief, den die Mayers im März 1941 aus dem Lager verschickten.

Ebenso aber ein gleichfalls im Rose-Saal gezeigtes Foto aus den frühen 1920er-Jahren, auf dem die bestens gelaunten Gäste einer Faschingsveranstaltung zu sehen sind. Darunter die Mayersche Tochter Friedel, die direkt neben Franz Becker, dem Großvater von Boris Becker, sitzt. Einträchtige Normalität, die ab 1933 dem Grauen weichen sollte. Friedels Vater Hugo, von 1899 bis 1918 Besitzer der Bergbrauerei, verstarb 1942 im Lager Noë, ihre Mutter Karoline wurde bald darauf im NS-Vernichtungslager Auschwitz umgebracht.

Folgerichtig steht für Martin Delfosse denn auch fest, dass die „Verfolgung der Juden nicht nur in Berlin oder in Auschwitz“ stattgefunden habe, „sondern vor der eigenen Haustüre, auch in Leimen“. Zugleich lobte er die Courage und die Selbständigkeit von Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht. „Stolz auf die Drei“ zu sein, betonte auch Leimens Oberbürgermeister Wolfgang Ernst. Schließlich dürfe, ergänzte das Stadtoberhaupt, nicht in Vergessenheit geraten, „dass auch Menschen aus Leimen unter den Verschleppten waren“.

Jugendliche gehen auf Spurensuche

Projekt „Mahnmal“ soll an das Thema „Deportation“ erinnern

Leimen. (pop) Nicht nur die Bewohner des Hauses Rohrbacher Straße 2 in Leimen wurden am 22. Oktober 1940 verschleppt, sondern insgesamt rund 6500 Personen jüdischen Glaubens. 5600 lebten bis dahin in 137 badischen Orten, gut 900 in der „Saarpfalz“. Diese beiden „Gaue“ sollten nach dem Willen ihrer Gauleiter als erste im Nazireich „judenfrei“ werden. Das vor sechs Jahren auf den Weg gebrachte „Ökumenische Jugendprojekt Mahnmal“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Jugend an das Thema „Deportation“ der jüdischen Bevölkerung Badens heranzuführen. In allen 137 Kommunen sollen Jugendliche oder Jugendgruppen gefunden werden, die auf eine Spurensuche gehen und die Schicksale der Deportierten dokumentieren.

Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse bilden dann den Ausgangspunkt für die Gestaltung von zwei identischen Gedenksteinen. Einer verbleibt vor Ort, der andere ergänzt das zentrale Mahnmal in Neckarzimmern, in das bislang 81 solcher Gedenksteine eingebracht wurden. Nach Jürgen Stude haben sich mittlerweile im Rhein-Neckar-Raum mit Ausnahme von Heidelberg und Reilingen alle betroffenen Städte und Gemeinden an diesem Projekt beteiligt. Damit demnächst auch die Leimener Gedenksteine erschaffen werden können, bitten die Träger des Mahnmal-Projekts um Spenden aus der Bürgerschaft. Das Spendenkonto bei der Volksbank Wiesloch hat die Nummer 200 417, die Bankleitzahl lautet 672 922 00, Empfänger ist die „Evangelische Kirchengemeinde Leimen“. Als Verwendungszweck sollte das Stichwort „Mahnmal“ vermerkt werden.


Bericht vom 8.September 2010

Zwei Gedenksteine zur Erinnerung und Mahnung

Drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen bearbeiten seit Anfang September 2010 zwei Gedenksteine zur Erinnerung an die vier jüdischen Mitbürger, die am 22.10.1940 aus Leimen verschleppt wurden. Die Schülerinnen Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht hatten zuvor viele Details über das Schicksal der Leimener Juden herausgefunden und hatten die Ergebnisse ihrer Recherchen der Öffentlichkeit im Juni dieses Jahres im Rosesaal vorgestellt. Nun hat der praktische Teil dieses ökumenischen Jugendprojektes begonnen.


Dank der Unterstützung von Steinmetz Udo Baumgärtner konnten zwei Sandsteinstelen besorgt werden. Ziemlich schnell war man sich über die Gestaltung der Steine einig. Die Gedenksteine sollen die symbolische Form einer Kerze mit vier „Wachstropfen“ erhalten. Denn in den Briefen, die uns von zwei der Deportierten, Hugo und Karolina Mayer, aus den Lagern Gurs und Noe erhalten sind, kommt trotz des schrecklichen Schicksals immer wieder eine hoffnungsvolle Grundstimmung zum Ausdruck.

Die zwei Sandsteinstelen sollen dann jeweils mit einer schmiedeeisernen Skulptur in der Form einer Kerzenflamme ergänzt werden. Hierzu haben die Schülerinnen Absprachen mit dem Heidelberger Kunstschmied Walter getroffen, der nach den vorgelegten Entwürfen die Anfertigung zugesichert hat.

Nachdem erste Markierungen am Stein angebracht waren und Herr Baumgärtner die Schülerinnen in den Gebrauch der Werkzeuge eingewiesen hat, ging es dann auch gleich los mit den ersten Hammerschlägen. Ausgestattet mit Arbeitshandschuh, Schutzbrille und Sicherheitsschuhen merkten die drei jungen Damen schnell, wie schwer der rote Sandstein zu bearbeiten ist. Ohne die tatkräftige Unterstützung von Herrn Baumgärtner, zum Teil auch mit Maschineneinsatz, bräuchten die Schülerinnen vermutlich mehrere Monate bis die Gestaltung der Steine abgeschlossen ist.

Doch die Zeit drängt, denn bereits Anfang Oktober muss zumindest ein Stein fertig sein. Dieser wird dann Teil der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern. Auf dem Gelände der Tagungsstätte der evangelischen Jugend in Neckarzimmern (Steige 50) findet am Sonntag, den 17.Oktober 2010 von 14-16 Uhr eine Gedenkfeier zum 70.Jahrestag der Deportation statt, in deren Rahmen etwa zehn neue Gedenksteine enthüllt und vorgestellt werden, darunter auch der Gedenkstein aus Leimen. Der zweite Stein wird dann zu einem späteren Zeitpunkt an einem noch festzulegenden Platz in Leimen aufgestellt.


Wer dieses Leimener Mahnmal-Projekt unterstützen möchte, kann gerne unter dem Stichwort „Mahnmal“ einen Geldbetrag auf folgendes Spendenkonto überweisen:

Empfänger: Ev. Kirchengemeinde Leimen
Konto-Nr.: 200417
BLZ: 672 922 00 Volksbank Kraichgau

Auf diesem Wege danken wir herzlich für alle bisher eingegangen Spenden von insgesamt etwa 600 Euro! Damit ist beinahe die Finanzierung eines Gedenksteines allein aus der Bevölkerung gesichert. Über den Fortlauf des Projektes und die Gedenkfeier in Neckarzimmern werden wir Sie weiterhin informieren.


Bericht vom 22.Oktober 2010

70.Jahrestag der Deportation badischer Juden

Am 22.Oktober 1940 wurden nahezu sämtliche Juden Badens, der Pfalz und des Saarlandes aus ihrer Heimat herausgerissen und in das südfranzösische Lager Gurs verschleppt. Aus Anlass des 70.Jahrestages dieser Deportation läuten am 22.Oktober um 11 Uhr die Totenglocken zum Gedenken an die Opfer dieser Gewalttat.

Auch aus Leimen wurden damals vier jüdische Mitbürger deportiert. Am Sonntag, den 17.Oktober 2010 haben die Schülerinnen Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht von der GSS-St.Ilgen im Rahmen einer Gedenkfeier auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern an diese vier jüdischen Mitbürger aus Leimen erinnert, indem sie den von ihnen gestalteten Gedenkstein vorgestellt haben.


Auf der Gedenkfeier sprachen unter anderem auch der Landesrabbiner Benjamin David Soussan und Kurt Maier, ein Überlebender der Deportation vom 22.Oktober 1940, der als zehnjähriger Junge verschleppt worden war. In seiner Ansprache ging Kurt Maier auf die Bedeutung des Ökumenischen Mahnmal-Projektes ein:

„Die jungen Menschen aus Baden haben sich mit ihren Gedenksteinen selber in den Kreis der Erinnerungen eingereiht. Später werden sie ihren Kindern davon erzählen, was sie in ihren Nachforschungen erfahren und erlebt haben. Auf diese Weise entsteht ein Mahnmal, das Zeit und Stein überdauern wird….Erweisen wir unseren Respekt den jungen Menschen, die uns vor Augen führen, dass Erinnern Heilen bedeutet."

Hier können Sie die Ansprache von Dr. Kurt Maier auf der Gedenkfeier in Neckarzimmern vom 17.10.2010 anhören:
Untenstehend können Sie die Worte der drei Schülerinnen zum Gedenken an die verschleppten Juden Leimens nachlesen:

"Mit diesem Stein wollen wir der vier jüdischen Mitbürger gedenken, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen verschleppt wurden. Ihre Namen sind: Herr Hugo Mayer und seine Frau Karolina Mayer, geborene Bierig. Frau Karoline Bierig und ihre Tochter Selma Bierig. Alle vier wohnten damals im Haus von Hugo Mayer in der Rohrbacherstr. 2 in Leimen.

Wir haben den Gedenkstein in Form einer Kerze gestaltet. Die Kerze und ihre Flamme stehen für die Hoffnung. In den Briefen von Hugo und Karolina Mayer aus den Lagern Gurs und Noe kommt nämlich neben ihrer Not immer auch eine hoffnungsvolle Grundstimmung zum Ausdruck.

Die letzten Zeilen, die uns von Hugo Mayer in einem Brief vom 30.März 1941 erhalten sind, lauten: „Meine große Freude ist es nur, von euch zu erfahren, dass es Euch allen gut geht, gesund und munter seid, gut zusammen auskommt und mein einziger Wunsch ist nur, Euch allen liebe Kinder gesund zu treffen, zu sehen, zu sprechen … wenn es Gott will, so wird es noch in Erfüllung kommen.“ Hugo Mayer starb zu Beginn des Jahres 1942, er wurde 78 Jahre alt.

Die letzten Zeilen, die uns von Karolina Mayer in einem Brief vom 9.September 1942 erhalten sind, lauten: „Hoffe doch, dass es Euch gut geht und Ihr glücklich und zufrieden miteinander seid. Mir selbst geht es gesundheitlich gut. Glaube nun ziemlich sicher, dass ich nun vorerst hier bleiben kann. … So Gott will wird das neue Jahr zum Frieden führen und seid für heute noch herzlich gegrüßt und geküsst von Eurer Mutter.“ Karolina Mayer wurde bald darauf von Noe nach Auschwitz verschleppt und wurde dort ermordet. Sie wurde 63 Jahre alt.

Über das Schicksal von Karoline und Selma Bierig konnten wir nichts herausfinden. Beide gelten nach der Deportation als verschollen. Die vier Wachstropfen des Gedenksteines stehen für die vier Verschleppten und dafür, dass ihre Hoffnung leider zerronnen ist.

Auf der Rückseite des Steines haben wir das Bild einer Weinrebe in den Stein eingraviert. Die Weinrebe ist einerseits ein Symbol für die Weinstadt Leimen, andererseits ist der gebrochene Zweig der Weinrebe ein Symbol für die damalige Ausgrenzung der Juden in Leimen. Denn in einem Brief aus Leimen vom 2.Januar 1939 schreibt der Sohn von Hugo Mayer: „Heute war ich mit Vater im Garten, um unsere Rebstöcke abzuschneiden, die jetzt nicht mehr angebaut werden dürfen.“

Im Alten Testament wird im Psalm 80 das Volk Israel als der Weinstock Gottes verstanden, dessen Reben abgeschnitten und zerstört worden sind. Insofern kann das Bild der gebrochenen Weinrebe auch als ein symbolischer Ausdruck für den Holocaust verstanden werden. Im Zentrum unserer Gestaltung des Steines stehen aber die Kerze und das Licht. Möge dieser Gedenkstein ein Zeichen der Hoffnung sein, dass Juden und Christen zu einem neuen geschwisterlichen Miteinander finden."

Bericht vom 30.Mai 2011

Mahnmal-Projekt Leimen erhielt Besuch aus New York

Wie jeden Samstag seit dem Monat März, so arbeiteten auch am 21.Mai 2011 die drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen (Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht) zusammen mit ihrem betreuenden Lehrer Martin Delfosse an dem zweiten Stein zum Gedenken an die vier Leimener Bürger, die am 22.Oktober 1940 nach Gurs verschleppt wurden.

Doch dieses Mal hatte sich kurzfristig Besuch aus Amerika angekündigt. Die Nachfahren der Deportierten, die gerade auf einem Treffen ehemaliger jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Heidelberg weilten, wollten die drei jungen Damen vor Ort persönlich kennen lernen und sich den in Arbeit befindlichen Gedenkstein für ihre aus Leimen verschleppten Urgroßeltern Hugo und Karolina Mayer anschauen. Und so traf man sich bei der Werkstatt von Steinmetz Udo Baumgärtner in Leimen, wo der Stein steht.

Von Beginn an war die Begegnung von großer Herzlichkeit und großem Interesse füreinander geprägt. Zunächst wurden die drei Schülerinnen und ihr Lehrer mit Mitbringseln aus New York beschenkt, ehe dann ein intensiver Austausch über das Mahnmal-Projekt begann.


Katharina Belman stand in englischer Sprache Rede und Antwort zum Ablauf dieses ökumenischen Jugendprojektes, das beinahe schon beendet gewesen wäre, ehe es überhaupt hätte anfangen können, da die Jugendlichen vom Stadtarchiv Leimen keine Informationen zur Ortsgeschichte Leimens von 1933-1945 erhielten. Zum Glück konnten die Nachfahren von Hugo und Karolina Mayer in Amerika ausfindig gemacht werden und ... am 27.Januar 2010, dem Holocaust-Gedenktag, gelang die erste Kontaktaufnahme. Die Jugendlichen erhielten Briefe von Hugo und Karolina Mayer aus Leimen von 1939 und Briefe von 1940-1942 aus den Lagern Gurs und Noe. Damit hatten die Schülerinnen genügend Material, um auch eine öffentliche Informationsveranstaltung durchführen zu können, die dann mit Unterstützung der Stadt Leimen und mit Beteiligung von Oberbürgermeister Wolfgang Ernst am 15.Juni 2010 stattfand. Es folgte die Anfertigung des ersten Gedenksteines, der in der zentralen Gedenkstätte Neckarzimmern am 17.Oktober 2010 eingeweiht wurde.

Nach diesen Einblicken in die Abfolge des Mahnmal-Projektes in Leimen begannen die Nachfahren Erinnerungen wiederzugeben, die sie von ihren Großeltern erzählt bekommen haben. Darunter waren Details zur Flucht ihrer Großeltern, denn zwei Kinder von Hugo und Karolina Mayer, nämlich Gustav und Friedel, konnten 1937 nach Amerika und das dritte Kind, Kurt Mayer, 1939 nach England auswandern. Seit dem Tod von Kurt Mayer im Jahre 2008 besitzt nun die (Stief-)Urenkelin von Hugo und Karolina Mayer alle deren Briefe aus Leimen, sowie den Lagern Gurs und Noe.

Im Anschluss an diesen ersten Austausch wurde das Gespräch bei Kaffee, Kuchen und Eis auf dem Leimener Georgi-Marktplatz fortgesetzt. Dank des sehr guten Englisch der Schulleiterin Frau Stöckermann-Borst und der Englischlehrerin Frau Schulze klappte die Kommunikation weiterhin reibungslos. Zum Schluss wurden die Mail-Adressen ausgetauscht und einige Erinnerungsfotos gemacht.


Mit großer Bewunderung und Dankbarkeit für dieses ehrenamtliche Engagement der drei Jugendlichen über die Dauer von nun schon eineinhalb Jahren verabschiedeten sich die Gäste. Man versprach miteinander in Kontakt zu bleiben. Vor allem interessiert den Besuch aus New York, an welcher Stelle in Leimen zukünftig das Mahnmal zum Gedenken an die Deportation von Hugo und Karolina Mayer seinen Platz finden wird. Übereinstimmend äußerten alle die Hoffnung, dass es ein zentraler Platz in Leimen sein wird, als deutliches Zeichen der Erinnerung gegen das Vergessen.

Bericht vom 5.September 2011

Wir müssen uns erinnern - auch wenn es weh tut!

Am Sonntag, den 28.August 2011 gedachte die Evangelische Kirchengemeinde Leimen aus Anlass des diesjährigen Israelsonntags der Deportation von Juden aus Leimen in das Lager Gurs im Oktober 1940. Pfarrer Steffen Groß hatte die Idee zu diesem besonderen Gottesdienst, in dem drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen (Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht) ihr Mahnmal-Projekt vorstellten. Sie hatten zusammen mit Herrn Delfosse das Schicksal der Leimener Juden gegen manche Widerstände erforscht und aufgearbeitet.

Zu Beginn des Gottesdienstes hob Pfarrer Groß hervor, was nur allzu leicht vergessen wird: Das Judentum ist die Wurzel unseres Glaubens, wir selbst sind spätere Äste an diesem Baum und wir dürfen auf Gottes Bund mit Israel aufbauen. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist es unfassbar, dass jüdische Menschen in der Zeit der Naziherrschaft ermordet wurden. In ihrem Bericht riefen sodann die Schülerinnen die Namen der Leimener Opfer in Erinnerung und lasen Auszüge aus ihren Briefen aus den Lagern Gurs und Noe vor:


Diese vier jüdischen Menschen und ihr unvorstellbares Leid dürfen in Leimen nicht vergessen werden, so die drei Schülerinnen. Deshalb haben sie im Rahmen ihres Projektes zwei Gedenksteine angefertigt. Der eine Stein steht bereits auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern, der andere soll seinen Platz in Leimen finden. Er ist einer Kerze nachempfunden. Die Kerze und die Flamme stehen für die Hoffnung. Die Wachstropfen stehen für die vier Verschleppten und dafür, dass ihre Hoffnung leider zerronnen ist.

In Kapitel 11 des Römerbriefes spricht Paulus im Blick auf die Erwählung Israels sinngemäß über die Juden: „Sie bleiben die von Gott Geliebten, weil sie die Nachkommen der erwählten Väter sind, auch wenn sie Christus nicht nachfolgen.“ Entsprechend entfaltete Pfarrer Groß in seiner Predigt über diesen Paulustext, dass wir als Christen gar nicht anders können, als uns immer neu vor den Opfern zu verneigen – und alles Menschenmögliche zu tun, dass sich ein solches Unrecht an unseren jüdischen Geschwistern nicht wiederholt. Gegen so manche Stimme, die das Ende der Erinnerung fordert, gelte es zu erwidern: „Wir müssen uns erinnern – auch wenn es weh tut. Es gibt keine Alternative! Daher muss dieser Gedenkstein seinen Platz mitten in Leimen finden, muss uns erinnern und verstören, muss uns zum Stolperstein werden.“

Zum Abschluss des Gottesdienstes bündelten sich in den Fürbitten alle Anliegen und Hoffnungen der Mitglieder des Mahnmal-Projektes. Dass jüdische Gemeinden hier in Deutschland nie mehr Angst haben müssen und weiter von der Liebe Gottes zu ihrem Volk erzählen können. Dass die Erinnerung an dieses grausame Unrecht hier in Leimen zum Beginn einer Erinnerungskultur werden möge, die ein Teil unseres Lebens hier in Leimen ist. Dass der Frieden zwischen Israelis und Arabern wachse. Und dass sich so die biblische Verheißung des Friedens für Israel und alle Völker schon heute Bahn bricht.


Nach dem Gottesdienst standen (v.l.n.r.) Anastasia Gammermajster, Sabina Kinderknecht und Katharina Belman den interessierten Gottesdienstbesuchern in der Mauritiuskirche Leimen noch Rede und Antwort.

Bericht vom 27.Januar 2012

Holocaust-Gedenktag

Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland ein Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, das symbolhaft für den Völkermord und die Millionen Opfer des Nazi-Regimes steht.

Wie in vielen anderen Orten Deutschlands, so gab es auch in Leimen Bürger, die durch ihren Dienst als Wachpersonal bei den Konzentrationslagern unmittelbar Teil der grausamen Tötungsmaschinerie der Nazis waren. Wie in vielen anderen Orten Deutschlands, so gab es auch in Leimen Juden, die vor allen Augen aus Leimen in Vernichtungslager deportiert wurden.

Dies ist ein dunkles Kapitel der Leimener Ortsgeschichte, das wahrhaft noch im Dunkeln liegt. Umso bedeutsamer ist es, dass drei inzwischen ehemalige Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen mit ihrer Beteiligung am Ökumenischen Jugendprojekt Mahnmal seit Dezember 2009 dazu beitragen, dass diese schrecklichen Ereignisse nicht vergessen werden. Zuletzt erinnerten sie in einem Gedenkgottesdienst der verschleppten Leimener Juden.

Das offizielle Informationsplakat zum Jugendprojekt Mahnmal enthält ein Bild des Gedenksteines, den die drei Jugendlichen mit Hilfe von Steinmetz Udo Baumgärtner bearbeitet haben. Der Gedenkstein steht seit Oktober 2010 auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern.


Der zweite identische Stein ist auch fast fertig, es fehlt nur noch die Anbringung der Flammenskulptur auf der Oberseite und die Gravur der Steininschrift mit dem Symbol einer gebrochenen Weinrebe auf der Rückseite des Steins. Der Gedenkstein soll dann in Leimen aufgestellt werden.

Der diesjährige Holocaust-Gedenktag steht leider im Zeichen aktueller Meldungen rechtsradikaler Terrormorde in Deutschland und einer aktuellen Studie, dass 20 Prozent der deutschen Bevölkerung antisemitische Einstellungen haben. Dies zeigt, wie wichtig das Engagement der drei Schülerinnen ist. Sie erinnern mit dem Jugendprojekt Mahnmal an die jüdischen Opfer in Leimen und setzen damit ein Zeichen gegen Antisemitismus und Fremdenhass.

Bericht vom 7.November 2012

Gedenken inmitten der Stadt

"Aus dem Herzen der Stadt Leimen sind die Mitbürger jüdischen Glaubens damals herausgerissen worden, daher sollte ihrer auch heute in der Mitte Leimens öffentlich gedacht werden können!"

Am 9.November 1938 brannten in ganz Deutschland jüdische Synagogen. Dieses Novemberpogrom gegen die Juden war lediglich der vorläufige Höhepunkt des nationalsozialistischen Antisemitismus. Bereits am 22. Oktober 1940 folgte die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus 137 Gemeinden Badens in das südwestfranzösische Lager Gurs. Davon waren etwa 5600 Menschen betroffen, darunter auch vier Personen aus Leimen. Auch in Leimen ließ man den Juden Hugo und Karolina Mayer, sowie Karoline und Selma Bierig nur wenig Zeit, ehe sie aus ihrem Haus in der Rohrbacherstraße verschleppt wurden. Dies dokumentiert ein Brief von Karolina Mayer aus dem Lager Gurs an ihre Kinder in Amerika, in dem es an zentraler Stelle heißt: „…sind … seit Freitag nach 3 tägiger Fahrt hier .... Bitte Euch um Dauerware Lebensmittel. Es ging alles ganz rasch. Hoffe Euch alle gesund und macht Euch keine Sorgen. Viele herzliche Grüße Mutter. Grüße von Vater und Sichers, Zivis und vielen Bekannten.“


Im Rahmen des ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal haben drei Jugendliche aus Leimen zwei identische Gedenksteine angefertigt, um an die Leimener Opfer des Holocaust zu erinnern. Ein Stein wurde am 70.Jahrestag der Deportation auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern eingeweiht. In der Zeitschrift „Pro“ (3/2011, Seite 46) der Evangelischen Jugend Baden findet sich dazu folgender kleine Bericht:


Gemäß den Vorgaben des landesweiten Jugendprojektes der evangelischen Landeskirche Baden und der Erzdiözese Freiburg soll der zweite Stein vor Ort seinen angemessenen Platz finden. Seit dem Frühjahr 2012 ist nun der zweite Gedenkstein „so gut wie“ fertig und die Suche nach einem geeigneten Standort in Leimen konnte beginnen.

Die Mitglieder des Mahnmal-Projektes entschlossen sich diesen Schritt nicht alleine zu gehen und baten im März 2012 auf der Sitzung des ökumenischen Arbeitskreises um Mithilfe. Daraufhin wurde in den Leitungsgremien der Kirchengemeinden in Leimen und St.Ilgen über den möglichen zukünftigen Standort dieses Gedenksteines beraten. Am Ende dieser Beratungen konnte ein sehr einheitliches Ergebnis feststellt werden. Alle drei Kirchengemeinden, die evangelische Kirchengemeinde Leimen und St.Ilgen und die katholischen Kirchengemeinde Leimen, haben sich in ihren Sitzungen durch Beschluss dafür ausgesprochen, dass der Gedenkstein auf dem Leimener Rathausplatz aufgestellt werden sollte, und zwar etwa auf dem Areal, auf dem früher die jüdische Synagoge stand. Dass der Gedenkstein seinen Platz auf dem Leimener Rathausplatz finden sollte, dafür sprechen fünf Kriterien:

1. Zentrale Öffentlichkeit:
Die Deportation der Leimener Juden fand damals vor allen Augen statt, deshalb muss ein Gedenkstein seinen Platz an einem zentralen Ort des öffentlichen Lebens in Leimen finden, so dass der Stein als unbequeme, störende Erinnerung und Mahnung im alltäglichen Leben der Leimener Bürger wirken kann.

2. Politischer Rahmen:
Die Deportation der Leimener Juden war Ausdruck von Rassenwahn und Fremdenhass der nationalsozialistischen Machthaber. Ihre politischen Repräsentanten hatten auch in Leimen das Sagen. Die heutigen politischen Mandatsträger tragen daher eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Intoleranz, Ausgrenzung und Fremdenhass. Ausdruck dieser besonderen Verantwortung ist es, wenn der Gedenkstein seinen Platz in unmittelbar örtlicher Bindung an das politische Zentrum Leimens erhält.

3. Ortsgeschichtlicher Bezug:
In Leimen gibt es zwei zentrale Orte jüdischen Lebens in früheren Zeiten. Dies ist einmal die Synagoge, die sich bis ca. 1900 auf dem Rathausplatz vor dem Gasthaus Krone befand, und die frühere Judengasse, die heute Hessengasse heißt. Neben der Erinnerung an das Leid der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus würde ein solcher ortsgeschichtlicher Bezug auch eine Erinnerung an ehemalige Zentren jüdischen Lebens in Leimen beinhalten.

4. Biographische Nähe:
Die aus Leimen verschleppte jüdische Familie Mayer und Bierig lebte in dem von Hugo Mayer erbauten Haus in der heutigen Rohrbacher-Str. 12. Außerdem war Hugo Mayer von 1899 – 1918 Besitzer der Bergbrauerei Leimen. Würde der Gedenkstein in relativer örtlicher Nähe zu diesen biographischen Stationen der Familie Mayer seinen Platz finden, dann stellen der Gedenkstein und der Ort der Erinnerung eine besondere Einheit dar.

5. Geeigneter Versammlungsort:
Die Einweihung des Gedenksteines soll der Beginn einer lebendigen Erinnerungskultur in Leimen werden. Der Standort muss daher die Möglichkeit bieten, sich in geeigneter Weise zum gemeinsamen Gedenken versammeln zu können.

Mit diesen fünf Kriterien haben sich die Kirchengemeinden an den Oberbürgermeister Herrn Wolfgang Ernst gewandt, um mit ihm gemeinsam über den zukünftigen Standort des Gedenksteines ins Gespräch zu kommen. Aus dem Herzen der Stadt Leimen sind die Mitbürger jüdischen Glaubens damals herausgerissen worden, daher sollte ihrer auch heute in der Mitte Leimens öffentlich gedacht werden können.

Bericht vom 26.Januar 2013

Der Opfer gedenken, wo die Täter begraben liegen?

Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Daher wurde der 27. Januar nicht nur in Deutschland, sondern auch international durch die Vereinten Nationen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ausgerufen.

In Leimen wurde letztes Jahr im Rahmen des ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal durch drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Juden, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen deportiert und ermordet wurden, fertig gestellt. Allein die Aufstellung des Gedenksteines steht noch aus. Die Mitglieder des Mahnmal-Projektes haben im Einklang mit den evangelischen und katholischen Kirchengemeinden als Aufstellungsort den Leimener Rathausplatz vorgeschlagen und diesen Vorschlag mit fünf überzeugenden Kriterien begründet.

Den diesjährigen Holocaust-Gedenktag möchte ich zum Anlass nehmen, um über einen anderen Aufstellungsort nachzudenken: Könnte der Gedenkstein zur Erinnerung an die Juden, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen deportiert und ermordet wurden, nicht auch auf dem Leimener Friedhof aufgestellt werden?

Auf diese Frage möchte ich an dieser Stelle eine Antwort geben, indem ich die vier häufigsten genannten Argumente für den Friedhof als Standort für den Gedenkstein kritisch hinterfrage und abschließend ein Fazit ziehe.

  • Der Friedhof ist ein würdevoller Ort, der einen besonderen respektvollen und pietätvollen Rahmen für die Erinnerung an das Leid der ermordeten Juden darstellt.

    Dieses Argument betont den gesellschaftlichen Aspekt der Tradition, dass man Toten üblicherweise auf dem Friedhof gedenkt, sei es allein, in der Gemeinschaft oder zu Gedenktagen auch öffentlich im Rahmen einer Gedenkveranstaltung.

    Wer den Friedhof besucht, geht in der bestimmten Absicht des Gedenkens auf den Friedhof. Dabei sind die Menschen gewissermaßen empfänglicher für ein allgemeines Gedenken an fremdes Leid, empfänglicher wie wenn man in der Stadtmitte mit ganz anderen Gedanken und Zielen an einem Gedenkstein zufällig vorbeikommt. So ist wahrscheinlich die hinter diesem Argument stehende Logik zu beschreiben.

    Doch wer diese Logik überzeugend findet, der verkennt völlig den Sinn und Zweck eines Mahnmals: Nicht wir besuchen das Mahnmal in der passenden Stimmung, sondern das Mahnmal besucht uns in der unpassenden Stimmung. Das Mahnmal stört uns in den alltäglichen Lebensvollzügen und will uns inmitten des Lebens wachrütteln und uns etwas in Erinnerung rufen und uns ermahnen.

    Man mag dies für eine idealistische Einstellung halten und dem Mahnmal kaum eine solche „Wirkungsmacht“ zugestehen wollen, aber viel wichtiger als die tatsächliche Wirkung des Mahnmals auf den Einzelnen, die ohnehin unverfügbar ist und auch auf dem Friedhof nicht garantiert werden kann, ist die politische Aussage, die hinter dem Aufstellungsort in der Stadtmitte steht: Ein mutiges, eindeutiges Bekenntnis gegen Rassismus, Fremdenhass und Intoleranz. Wir stehen dazu inmitten unseren alltäglichen Lebensvollzügen und schieben dieses Bekenntnis nicht weg auf den gesonderten Bereich des Friedhofs.

  • Der Friedhof ist ein geschützter Ort, der den Gedenkstein vor verschiedenen Formen des respektlosen Umgangs schützt und mehr Sicherheit vor möglichem Vandalismus bietet.

    Dieses Argument betont den praktischen Aspekt der Sicherheit mit dem Ziel, dass das ehrende Gedenken nicht in den Schmutz gezogen wird.

    Die Sorge, dass der Gedenkstein in irgendeiner Weise durch Vandalismus beschädigt werden könnte, ist zwar berechtigt. Erst letztes Jahr wurde der Gedenkstein in Nußloch durch solche Umtriebe in Mitleidenschaft gezogen. Ob der Friedhof im Vergleich zum Rathausplatz mehr Sicherheit bietet, ist allerdings reine Spekulation. Wenn es Zeitgenossen gibt, die das Mahnmal gezielt verunstalten wollen, dann können sie dies an jedem Ort tun, auch auf dem Friedhof, wie auch jüngste Vorfälle in der Region belegen.

    Viel wichtiger als solche Spekulationen über den möglichst sichersten Aufstellungsort für den Gedenkstein ist vielmehr die Frage, welches Signal wir setzen, wenn die Sorge um Vandalismus der ausschlaggebende Grund für die Aufstellung des Gedenksteines auf dem Friedhof ist. Ich denke, weder gegenüber jugendlicher Randale, noch gegenüber rechtsradikalen Umtrieben ist ein vorauseilender Kniefall angebracht, im Gegenteil.

    Es ist die Freiheit, welcher die Juden zur Zeit des Nationalsozialismus Stück für Stück beraubt wurden, mit dem Ziel, schließlich ihr Leben ganz zu vernichten. Es ist daher angemessen dieser zur Zeit des Nationalsozialismus geschundenen Freiheit einen Gedenkstein entgegenzusetzen, dessen Aufstellungsort Ausdruck eines selbstbewussten freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens ist. Das vermeintlich sichere „Versteck“ des Friedhofes erfüllt dieses Kriterium wohl kaum, der Rathausplatz aber sehr wohl. Er stünde als Aufstellungsort des Gedenksteins für ein mutiges und eindeutiges Bekenntnis gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Wir stehen dazu inmitten unseren alltäglichen Lebensvollzügen und schieben dieses Bekenntnis nicht weg auf den gesonderten Bereich des Friedhofs.

  • Der Friedhof ist ein ausgewiesener Ort des Gedenkens, auf dem bereits andere Gedenksteine stehen, die an das durch die beiden Weltkriege verursachte Leid von Menschen erinnern.

    Dieses Argument betont den zufälligen Aspekt der gewachsenen Erinnerungskultur, der den Gedenkstein in Beziehung zu den anderen Gedenksteinen setzt.

    Auf dem Leimener Friedhof steht vor der Kapelle seit 1975 der Gedenkstein für die Opfer aus Deutsch-Stamore im rumänischen Banat und seit 1981 der Kunewälder-Gedenkstein, der an die gefallenen Landsleute der Heimatgemeinde Kunewald im Sudetenland erinnert.

    Den Gedenkstein für die ermordeten Leimener Juden einfach dazu zu stellen, scheint aus Gründen der „Gleichbehandlung“ sinnvoll zu sein und „komplettiert“ das Gedenken an menschliches Leid in Bezug auf die zwei Weltkriege.

    Natürlich ist menschliches Leid und das Gedenken daran unteilbar. Es kann keine Abstufung in der „Wertigkeit“ des Gedenkens an menschliches Leid geben, insofern ist alles Gedenken gleichwertig und gleichwichtig. Doch muss daraus folgen, dass alles Gedenken auch „gleichbehandelt“ wird und am gleichen Ort stattfinden muss?

    Eine Gedenktafel für die heimatvertriebenen Deutschen aus dem Sudetenland, aus Schlesien, Pommern und Ungarn, die nach dem zweiten Weltkrieg in Leimen eine zweite Heimat gefunden haben, ist seit 1999 in der Höllengasse angebracht. Es hat sicherlich nachvollziehbare und berechtigte Gründe gegeben, warum diese Gedenktafel mitten in der Stadt und nicht auf dem Friedhof angebracht wurde. Aus der „Gleichwertigkeit“ des Gedenkens folgt eben nicht notwendigerweise die „Gleichbehandlung“ des Gedenkens, kann es auch gar nicht, denn menschliches Leid bleibt bei aller Gleichheit immer ein unverwechselbares „individuelles“ Geschehen, und zwar sowohl hinsichtlich dem einzelnen Menschen, wie auch hinsichtlich der einzelnen Gruppe.

    Die „Gleichwertigkeit menschlichen Leids“ steht also nicht im Widerspruch zur „Einzigartigkeit menschlichen Leids“, aufgrund deren das Gedenken in je eigener Form und dem dazu passenden speziellen Platz stattfinden kann. Die Gleichbehandlung des Gedenkens an das Leid verschiedener Volksgruppen auf ein und demselben Friedhofsplatz bringt aber letztlich die Gefahr mit sich, dass die Einzigartigkeit des Holocaust nicht so deutlich zum Ausdruck kommt. Der Rathausplatz stünde dagegen als Aufstellungsort des Gedenksteins für ein mutiges und eindeutiges Bekenntnis gegen die Verharmlosung und Leugnung des Holocaust.

  • Der Friedhof ist im Vergleich zu anderen Plätzen am Stadtrand die bessere Alternative, da wegen der Stadtkernsanierung eine Aufstellung des Gedenksteines in der Stadtmitte auf lange Sicht nicht möglich ist.

    Dieses Argument betont den zeitlichen Aspekt der Stadtkernsanierung, der als äußerer Sachzwang die Aufstellung des Gedenksteines auf dem Friedhof als Zwischenlösung favorisiert.

    Dagegen ist festzuhalten: Die anstehende Stadtkernsanierung und damit auch die Umgestaltung des Rathausplatzes mag ja in der Tat die Aufstellung des Gedenksteines „verkomplizieren“ und vielleicht auch „verzögern“, aber ein Hinderungsgrund für die Steinaufstellung ist die Stadtkernsanierung letztlich nicht, im Gegenteil, mit etwas gutem Willen von allen Beteiligten lässt sich die Steinaufstellung in die Planungen der Umgestaltung des Rathausplatzes von vorneherein mitintegrieren. Vorausgesetzt natürlich der gute Wille dazu besteht und man möchte den Gedenkstein auf dem Rathausplatz aufstellen. Wird man das alte Sprichwort „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ beherzigen, dann wird man bestimmt Lösungen finden, die Steinaufstellung auf dem Rathausplatz zu ermöglichen, und sei es durch Zwischenlösungen auf dem Rathausplatz selbst.

    Ist der Wille da, dann wird der Weg derjenige sein, dass man miteinander das Gespräch aufnimmt. Dabei müssen mit größtmöglicher Transparenz bereits getroffene und anvisierte Entscheidungen, bestehende Planungen und Zeitabläufe, sowie noch unfertige Entwürfe oder Ideen offen gelegt werden, um die bestmögliche Variante einer Steinaufstellung auf dem Rathausplatz herausfinden zu können. Eine Zwischenlösung auf dem Rathausplatz selbst ist hierbei einer Zwischenlösung auf dem Friedhof vorzuziehen. Denn Zwischenlösungen haben den Drang der Verstetigung in sich. Oder anders ausgedrückt: Steht der Gedenkstein erst einmal auf dem Friedhof, dann wird er mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr den weiten Weg auf den Rathausplatz finden.

    Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, welchen Stellenwert der Gedenkstein an die ermordeten Leimener Juden in der politischen Gemeinde Leimens einnehmen soll: Ist die Steinaufstellung lediglich ein störender Faktor in der Stadtkernsanierung und man muss jetzt irgendwo eine Lücke dafür finden? Oder ist die Steinaufstellung eine von einer großen Mehrheit der politischen Entscheidungsträger begrüßte Möglichkeit, endlich einem solchen Gedenken Raum geben zu können? Im zweiten Falle würde die Steinaufstellung als zentrale, inspirierende Chance für die Stadtkernsanierung angesehen werden können. Der Gedenkstein wäre nicht mehr ein störender Faktor, sondern sogar Ausgangs- und Zielpunkt für eine neue Gestaltung des Rathausplatzes und damit ein mutiges und eindeutiges Bekenntnis gegen das Vergessen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die vier Argumente, welche den Friedhof als Aufstellungsort für das Mahnmal empfehlen, nur vordergründig plausibel sind, dass sie aber einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Außerdem lassen alle vier Argumente einen Gesichtspunkt völlig unberücksichtigt, den anzusprechen in Leimen wahrscheinlich einem Tabubruch gleichkommt:

Die Deportation der Leimener Juden im Oktober 1940 lief ja nicht so ab, dass eine anonyme lange Hand von der damaligen Gauleitung in Karlsruhe sich bis nach Leimen ausgestreckt hätte und die Familie Mayer und Bierig aus dem Haus geholt hat und verschleppt hat. Nein, es waren doch wohl Leimener Bürger, genauer gesagt Leimener Nazis, welche vor Ort in Leimen die Deportation in die Tat umgesetzt haben. Wir müssen annehmen, dass diese Täter auf dem Leimener Friedhof begraben liegen. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz, worüber man sich klar sein muss, wenn man den Friedhof als Aufstellungsort für den Gedenkstein auswählt. Man würde der Opfer an der gleichen Stelle gedenken, wo die Täter von damals begraben liegen!

Der Opfer gedenken, wo die Täter begraben liegen, dies könnte, wenn überhaupt doch nur in Frage kommen, wenn die Ortsgeschichte Leimens von 1933 bis 1945 und damit auch die Umstände des Deportationsvorganges in Leimen von unabhängiger Seite wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden sind. Doch von einer solchen Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Leimener Ortsgeschichte ist man in Leimen weit entfernt. Wahrscheinlich ist aber genau dies der Grund dafür, warum der Friedhof als Aufstellungsort genannt wird. Dort ist der Gedenkstein nicht im dauerhaften, direkten Blickfeld der Öffentlichkeit, er steht abseits und fordert uns nicht täglich heraus, und deswegen ist der Friedhof als Aufstellungsort so angenehm. Man darf gespannt darauf sein, ob die politischen Entscheidungsträger in Leimen dieser Versuchung widerstehen können und stattdessen den Rathausplatz als Standort des Gedenksteines auswählen.

Bericht vom 25.März 2013

Der zukünftige Standort für das Mahnmal steht fest

Am 21. März 2013 wurde in der Sitzung des Gemeinderates der Stadt Leimen der zukünftige Standort für das Mahnmal, das an die Deportation der Leimener Juden vom 22.Oktober 1940 erinnert, festgelegt.

Der Gedenkstein des Mahnmals entstand im Rahmen des Ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal der Evangelischen Landeskirche Baden und der Erzdiözese Freiburg, dessen Ziel es ist, in allen Deportationsorten der 137 Gemeinden Badens die Erinnerung an die verschleppten und ermordeten Juden wach zu halten.

Drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule St.Ilgen (Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht) hatten sich Ende 2009 dazu entschlossen, an diesem Jugendprojekt teilzunehmen und zwei identische Gedenksteine anzufertigen.

Nach einer öffentlichen Präsentation der Ergebnisse ihrer Spurensuche zum Schicksal der aus Leimen verschleppten Mitmenschen jüdischen Glaubens am 15.Juni 2010 im Bürgerhaus Leimen fertigten sie den ersten Gedenkstein an, der auf dem zentralen Mahnmal in Neckarzimmern im Rahmen einer Gedenkfeier am 17.Oktober 2010 eingeweiht wurde.

Der identische zweite Stein wurde von den Jugendlichen im darauf folgenden Jahr hergestellt, in dem am 28.August 2011 zum Israelsonntag auch ein Gedenkgottesdienst stattfand. Nach den Vorgaben dieses Mahnmalprojektes sollte dieser zweite Stein vor Ort in Leimen seinen Platz finden. Mit Unterstützung der leitenden Gremien der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde Leimen und St.Ilgen fand im Jahr 2012 eine intensive Auseinandersetzung mit den möglichen Standorten für den Gedenkstein des Mahnmals statt, an deren Ende der Leimener Rathausplatz als geeigneter Standort favorisiert wurde. Mit der Empfehlung, den Rathausplatz als Standort für das Mahnmal zu wählen, wandten sich die Kirchengemeinden dann an die Stadt Leimen.

Nach einem längeren Prozess des Nachdenkens bei den Gemeinderäten, wobei zum Teil auch der Friedhof als Standort in Erwägung gezogen wurde, war nun im März 2013 die Zeit reif für eine sorgfältig überlegte Entscheidung. Der Gemeinderat beschloss bei einer Gegenstimme mit großer Einmütigkeit, dass der Gedenkstein vorläufig im Foyer des Seligmann-Palais des Leimener Rathauses aufgestellt werden soll, bis der Stein endgültig im Rahmen der Umgestaltung des Rathausplatzes an einer zentralen Stelle des Platzes aufgestellt werden kann.

Über dieses Abstimmungsergebnis freuten sich die drei Schülerinnen sehr, die zusammen mit ihrem betreuenden Lehrer Martin Delfosse und der stellvertretenden Schulleiterin Beate Grubisic, sowie Pfarrer Steffen Groß als Vertreter der Kirchengemeinden die abschließenden Beratungen der Gemeinderäte von den Zuschauerplätzen aus live mitverfolgten. Den vier verschleppten und ermordeten Leimener Juden Hugo Mayer und seiner Frau Karolina, sowie Karoline Bierig und ihrer Tochter Selma wird mit diesem Mahnmal zumindest symbolisch der Platz in unserer Mitte wiedergegeben, der ihnen durch unsere Vorfahren genommen wurde.

Dem Mahnmal im Foyer des Rathauses soll eine Ausstellung über das Schicksal der Ermordeten und (je aktualisiert) die Planungen für den endgültigen Standort und seine Gestaltung auf dem Rathausplatz zur Information beigefügt werden. Eine feierliche Einweihung des Mahnmal-Gedenksteines wird am Samstag, den 9. November 2013 stattfinden.

RNZ-Artikel vom 26.März 2013

Der Stein des Gedenkens kommt zum Rathaus

Mahnmal erinnert an die aus Leimen deportierten Juden – Gemeinderat sprach sich für einen Standort der Würde aus

Von Thomas Frenzel

Leimen. Die zeitliche Nähe zur 80. Wiederkehr jenes Tages, an dem sich die Reste der Weimarer Demokratie selbst abschafften und Adolf Hitler zur millionenfachen Tod bringenden Diktatur ermächtigten, war gewiss nicht zufällig gewählt: In demonstrativer Einhelligkeit fasste der Gemeinderat den Beschluss, dem Gedenken der ermordeten Juden Leimens einen Platz von Würde zu schaffen. Das Mahnmal an die im Jahre 1940 zunächst ins südfranzösische Gurs und dann nach Auschwitz deportierten Leimener Mitbürger, das von Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht konzipiert worden war, wird zunächst im Foyer des historischen Rathauses aufgestellt. Seinen endgültigen Standort soll es später im Bereich des sanierten Rathausplatzes finden.

Die drei jungen Frauen haben mit ihrem Projekt, mit dem sie das Schicksal der nach Gurs Verschleppten aufarbeiteten, für die Stadt Ehre eingelegt. Dies betonte nicht allein Oberbürgermeister Wolfgang Ernst.

Der aus Ernsts Sicht am besten geeignete Standort für das Mahnmal sei jener Platz, an dem bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts die Leimener Synagoge gestanden habe – westlich des Gasthauses „Krone“. Noch zu Kaiserzeiten, als die Zahl der jüdischen Gläubigen auf eine Handvoll geschrumpft war und die Gemeinde sich auflöste, sei das Gotteshaus aus Kostengründen abgerissen worden. Da an dieser Stelle auf absehbare Zeit umfangreiche Sanierungsarbeiten anstehen, empfehle sich als Übergangsstandort das einsehbare Foyer des Rathauses: Als Palais war das heutige Rathaus von dem Juden Aron Elias Seligmann errichtet worden, in einer Blütezeit des Leimener Judentums, dessen Gemeindeim19. Jahrhundert laut Ernst weit über 100 Gläubige gezählt hatte. Aufgestellt werden soll hier der Gedenkstein am 9. November, dem Jahrestag des nationalsozialistischen Pogroms, bei dem 1938 in Hitler-Deutschland die Synagogen und jüdisches Eigentum brannten.

Der schon lange fertig gestellte Gedenkstein solle endlich einen würdigen Platz finden, sagte Richard Bader (CDU), zumal er ohne Schuldzuweisung gegen jegliche Art von Hass und Verblendung mahne. Als „ausgesprochen richtig“ empfanden Gerhard Scheurich (GALL) und Joachim Buchholz (Linke) die diskutierten Standorte.

Dass – im offenbar nicht-öffentlichen Vorfeld – auch andere Standorte in der Diskussion waren, offenbarte Rudolf Woesch (FW): Auf einem Friedhof habe ein solches Mahnmal nichts zu suchen, sagte er; das Mahnmal müsse zwingend unter den Menschen sein. Dies unterstrich auch Wolfgang Krauth: Das Mahnmal sei kein Grabstein, zwingend sei, das die Menschen darüber stolperten, zumal bei einem Thema, das in Leimen nach wie vor als Tabu begriffen werde.

Den Woesch-Hinweis, wonach ein öffentlicher Standort auf dem freien Rathausplatz allerdings auch Vandalen einladen könnte, griff auch Wolfgang Stern (CDU) auf: Sicherer als frei zugänglich könnte ein endgültiger Standort im gläsernen Foyer des künftigen Verwaltungsgebäudes vis-à-vis des historischen Rathauses sein.

Die Widerrede kam prompt. Bei allem nachdenkenswertem Pragmatismus, so der OB in ungewohnter Emotionalität, dürfe vor diesen immer wieder auftretenden „Schweinehunden“ nicht kapituliert werden. Es gelte Kraft aufzubringen gegen die „rechte braune Flut“ und im öffentlichen Raum ein klares Signal zu setzen. Hier wollte noch nicht einmal der leidenschaftliche OB-Kritiker Buchholz widersprechen, der es für unsäglich erachtete, dass bei der Zerstörung des gleich motivierten Mahnmals in Nußloch von offizieller Seite ein brauner Hintergrund umgehend ausgeschlossen worden war.

Erinnerung an die Mayers und Bierigs

Drei Schülerinnen arbeiteten das Schicksal der Deportierten auf und schufen ein doppeltes Mahnmal

Leimen. (fre) Gibt es einen deutscheren Namen als Mayer, dieser zum Nachnamen gewordenen Berufsbezeichnung für einen in der Milchwirtschaft beheimateten Bauern? Für Hugo Mayer und seine Frau Karolina bot dieser Name keinen Schutz. Auch nicht für die mit ihnen verwandte Karoline Bierig und deren Tochter Selma. Sie alle, die in Leimen im heutigen Haus Rohrbacher Straße 12 lebten, wurden am 22. Oktober 1940 von zuhause abgeholt. Von den Nazis. Und sie wurden auf den Befehl der herrschenden Hitler-Partei deportiert in das südfranzösische Konzentrationslager Gurs, die erste Station auf dem Weg in den Tod. Denn die Leimener Mayers und Bierigs waren jüdischen Glaubens.

70 Jahre nach dieser Verschleppung haben drei Schülerinnen der Geschwister- Scholl-Schule St. Ilgen dieses Schicksal aufgearbeitet: Katharina Belman, Anastasia Gammersmajster und Sabina Kinderknecht. Unter der Mitwirkung ihres Lehrers Martin Delfosse beteiligten sie sich an einem Projekt der evangelischen Landeskirche: Zum Gedenken an die Deportierten entstand in Neckarzimmern eine zentrale Stätte des Mahnens und Erinnerns an alle Mitmenschen, die damals aus den 137 badischen Gemeinden in den Tod geschickt wurden. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Projekts war und ist es, dass eine Zweitversion des Gedenksteins, wie er in Neckarzimmern aufgestellt wurde, in den jeweiligen Kommunen aufgestellt wird – als Mahnung für die Heutigen.

Katharina, Anastasia und Sabina entschieden sich für das Symbol einer aus Sandstein gehauenen Kerze, deren Flamme für die Hoffnung steht. Eine Hoffnung aufs Überleben, die von den deportierten Mayers und Bierigs schier bis zuletzt gepflegt wurde. Und sei es nur, dass sie selbst in einem ihrer letzten Briefe, den sie ihren Lieben in Amerika zukommen ließen, keine Hoffnungslosigkeit ausstrahlen wollten.

Zurück zum Gedenkstein. Seit etwa einem Jahr ist das Parallelmal, das für eine Aufstellung am Ort der erfolgten Deportation vorgesehen ist, fertiggestellt. Nach der vorübergehenden Aufstellung im Rathausfoyer gilt es, den Stein an einem wirklich öffentlichen Platz aufzustellen. Und vielleicht hilft hierbei die Tatsache, dass Hugo Mayer einst der Besitzer der Bergbrauerei Leimen war. Ihn selbst und seine Familie konnte dies nicht retten.

RNZ-Kurzmeldung vom 27.März 2013

Es gab eine Nein-Stimme

Leimen. (fre) Die Entscheidung, den Gedenkstein für die nach Gurs deportierten Leimener Juden zunächst im Rathausfoyer und später im Bereich des sanierten Rathausplatzes aufzustellen, fiel doch nicht einstimmig (vgl. gestrige RNZ). Wie die Stadt gestern informierte, hatte die FDP Stadträtin Ingrid Hörnberg per Mail der Verwaltung mitgeteilt, dass ihre Nein-Stimme übersehen wurde.

RNZ-Artikel vom 9. November 2013

„Die Verfolgung der Juden fand vor der eigenen Haustür statt“

Ein Mahnmal für Leimen: Heute wird im Rathausfoyer der Gedenkstein enthüllt

Von Ute Teubner

Leimen. Es ist vor allem die Hoffnung, die dieser Stein symbolisiert: In Form einer Kerze und mit einer Flamme, die immer brennen möge. Zuversicht, die letztlich auch in den Briefen von Karolina und Hugo Mayer sowie Karoline und Selma Bierig zum Ausdruck kommen: „Der liebe Gott wird helfen, dass wir auch von hier wieder weg können.“ Zeilen, geschrieben 1941 in Gurs. Von vier jüdischen Bürgern aus Leimen, die am Tag der Deportation der badischen Juden, dem 22. Oktober 1940, aus der Weinstadt in das südfranzösische Internierungslager verschleppt und später nach Auschwitz deportiert wurden. Die Heimatstadt Leimen sah nicht einer von ihnen je wieder (siehe nebenstehender Artikel).

Vier Schicksale, derer sich die Stadt erinnern will. Vier Menschen, die zurückgeholt werden sollen in die Mitte des Alltags. Ein Mahnmal soll künftig an die ermordeten Leimener Juden erinnern. Zum 75. Jahrestag der Pogromnacht, am heutigen Samstag, wird der Gurs-Gedenkstein im Rahmen einer stillen Feier im Foyer des historischen Rathauses enthüllt. Ein würdiger Platz, wurde doch das einstige Palais im ausgehenden 18. Jahrhundert von dem Juden Aron Elias Seligmann in einer Zeit errichtet, in der die jüdische Gemeinde Leimens weit über 100 Gläubige zählte. Dennoch wird der Standort nicht der endgültige sein. Ist der Rathausplatz saniert, soll das Mahnmal an jenem Ort installiert werden, an dem bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Leimener Synagoge stand.

Konzipiert wurde der Gedenkstein (Foto: privat) mit der Hoffnungsflamme und den vier „Wachstränen“ von Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht. „Wir sind sehr froh, dass diese drei jungen Frauen sich mit dem dunkelsten Kapitel unserer Stadtgeschichte auseinandergesetzt haben“, betont Michael Ullrich, Pressesprecher der Stadt Leimen. „Und wir sind dankbar, dass somit Jahrzehnte nach diesen schrecklichen Ereignissen die Ermordeten der Vergessenheit entrissen werden und ihnen ein Stück weit ihre Würde wiedergegeben wird.“

Vor vier Jahren begannen die damals 15- jährigen Schülerinnen der Geschwister- Scholl- Schule St. Ilgen ihre Recherche zum Thema „Die Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus“. Was als verhältnismäßig simple schulische Projektarbeit begann, mündete in ein langfristiges, quasi ehrenamtliches Engagement: In die Teilnahme am „Ökumenischen Jugendprojekt Mahnmal“ nämlich, einem landesweiten Jugendprojekt (siehe Hintergrund). Die Neuntklässlerinnen begaben sich – unterstützt von ihrem Klassenlehrer Martin Delfosse – auf Spurensuche: Wer waren die aus Leimen nach Gurs verschleppten jüdischen Bürger? Welches Schicksal mussten sie erleiden? „Es stand ganz schnell fest: Die Verfolgung der Juden hat nicht nur in Berlin oder in Auschwitz stattgefunden, sondern hier, vor der eigenen Haustüre, in Leimen“, macht der 51-jährige Delfosse klar.

Nach akribischer Recherche konnten die Schülerinnen im Juni 2010 ihr Mahnmal-Projekt erstmals der Öffentlichkeit vorstellen. Danach ging es an die Bearbeitung des ersten Gedenksteines. Der wurde binnen vier Wochen gemeinschaftlich gemeißelt. Aus Buntsandstein. Und unter der fachkundigen Anleitung von Steinmetz Udo Baumgärtner. Die Flammenskulptur fertigte der Heidelberger Kunstschmied Wolfgang Walter an. Seit drei Jahren nun steht das Mahnmal, das der Leimener Juden gedenken soll, auf dem Gelände der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern.

Der zweite, für Leimen bestimmte identische Gedenkstein konnte diesen Sommer fertiggestellt werden. Pfarrer Steffen Groß von der evangelischen Kirchengemeinde Leimen unterstreicht: „Für dieses Projekt haben hier vor Ort viele an einem Strang gezogen. Es wurde damit etwas angeregt, das seit Jahrzehnten fällig war. Die deportierten jüdischen Mitbürger erhalten zwar spät, aber hoffentlich nicht zu spät den ihnen gebührenden Platz zurück.“

Jetzt, vor drei Tagen, wurde das 700 Kilogramm gewichtige Werk mit einem Hubsteiger ins Rathausfoyer gebracht. Und wenn es am heutigen Samstag enthüllt wird, dann geschieht dies nicht nur vor den Augen des Oberbürgermeisters, der drei Urheberinnen des Mahnmals sowie der Vertreter von Kirche und Politik. Nein, auch Linda Ziskind wird mit ihrem Mann David, ihrem Bruder Rick und ihrem Cousin Bruce aus den USA anreisen. Sie ist die Stief-Urenkelin von Hugo und Karolina Mayer, die einst in der Rohrbacher-Straße 2 in Leimen lebten.

Info: Die öffentliche Gedenkfeier mit Enthüllung des Mahnmals findet heute, Samstag, 9. November, um 15 Uhr im Foyer des Leimener Rathauses, dem früheren Palais Seligmann, in der Rathausstraße 8, statt. Weitere Infos zum Thema gibt es auch im Internet unter www.mahnmal-projekt-leimen.de

Keiner von ihnen kehrte zurück

Die deportierten Leimener Juden

Leimen. (teu) Jahrelang lebten sie in Leimen unter Leimenern: Karolina und Hugo Mayer, Karoline und Selma Bierig (Fotos: privat). Die beiden jüdischen Familien wohnten unter einem Dach, in der damaligen Rohrbacher Straße 2. Bis sie knapp zwei Jahre nach den Novemberpogromen am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Internierungslager Gurs verschleppt wurden. Zurück nach Leimen kehrte keiner von ihnen.

Karolina Mayer kam am 2. Dezember 1879 in Nußloch als Tochter von Friedericke Bierig (geb. Mayer) und dem Bäcker Karl Bierig zur Welt. Sie heiratete Hugo Mayer am 3. Juli 1900 in Bruchsal und bekam mit ihm die Kinder Friedel, Gustav und Kurt, die noch vor der Deportation in die USA beziehungsweise nach England fliehen konnten. Karolina Mayer wurde 1944 im NS-Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Hugo Mayer wurde am 15. April 1864 als Sohn von Amalie und Gottfried Mayer in Nußloch geboren. Er war von 1899 bis 1918 Besitzer der Bergbrauerei Leimen. Später betrieb er einen Laden für Farben und Lacke sowie für Futter und Getreidemittel; das Handelsgeschäft wurde 1938 zwangsgeschlossen. Hugo Mayer starb am Neujahrsabend 1942 im französischen Lager Noé, wohin er im Februar 1941 von Gurs verlegt worden war.

Karoline Bierig, geboren am 4. August 1878 in Flehingen als Tochter des Handelsmannes Josef Bierig, war mit Karl Bierig verheiratet, nachdem dieser seine erste Ehefrau Friedericke verloren hatte. Die beiden hatten zusammen drei Töchter: Toni, Gertrud und Selma. Karoline Bierig wurde 1942 in Auschwitz umgebracht.

Selma Bierig erblickte am 14. November 1908 in Nußloch das Licht der Welt. Während ihre Schwester Toni nach New York und Gertrud nach England emigrieren konnten, wurde Selma zunächst nach Gurs deportiert, später nach Drancy bei Paris. Von dort wurde die junge Frau am 12. August 1942 gemeinsam mit ihrer Mutter Karoline mit dem Transport Nr. 18 nach Auschwitz verbracht, wo sie noch im selben Jahr zu Tode kam.

RNZ-Artikel vom 11.November 2013

Vier Opfer haben ihre Namen und ihre Würde wiederbekommen

Pogromnacht-Gedenkstein enthüllt: Nachkommen der Opfer kamen aus den USA zur Feierstunde

Von Roland Fink

Leimen. Nein, es darf nicht vergessen werden, es darf nichts verdrängt werden von all dem, was im November 1938 in Deutschland geschah. Die Novemberpogrome zerstörten Menschen, Familien und Existenzen und legten eine bis dahin ungeahnte Intoleranz und Grausamkeit an den Tag. Das Palais des Aron Elias Seligmann, heute Rathaus der Stadt Leimen, ist ein würdiger Ort, all dem zu gedenken. Nicht anonym, sondern mit den Bildern von vier Menschen vor Augen, die als jüdische Bürger auf Befehl eines Gauleiters in das Internierungslager Gurs in Frankreich deportiert wurden. „Um diesen Tag vor 75 Jahre brannten die Synagogen, oft unter dem Gejohle der Nachbarn“, sprach Oberbürgermeister Wolfgang Ernst das Geschehen an.

Nicht anonym wurde der sandsteinrote Gedenkstein als Mahnmal seiner Bestimmung übergeben. Die Bilder von Hugo Mayer, Karolina Mayer, Karoline Bierig und Selma Bierig geben dem Stein ein Gesicht. Drei in Nußloch geboren, Karoline Bierig in Flehingen. Sie waren angesehene Mitbürger, bis Ausgrenzung, Rassismus und Verfolgung sie in ihren Wohnungen und Häusern erreichten. Alle vier wurden am 22. Oktober aus Leimen verschleppt: Hugo Mayer starb in Gurs, die Frauen wurden nach Auschwitz verbracht und dort ermordet.

Es war nichts anonym bei dieser Gedenkfeier unter viel Anteilnahme der Bevölkerung. Nicht nur die Toten und deren Schicksal waren im Geiste präsent. Mit Linda Ziskind (62) und ihrem Mann David, mit Richard Ehrmann (63) und Bruce Ehrmann (60) waren drei Angehörige aus den USA nach Leimen gekommen. Richard ist Immobilienmakler in New York, Bruce ist Mitarbeiter bei der Journalisten-Berufsvereinigung Washington-Baltimore und der Vereinigung der Beschäftigten in der Kommunikationsindustrie in Amerika. Die Präsenz der Angehörigen gab diesem 9. November im Leimener Rathaus menschlichen Inhalt in direkter Verbindung mit den Opfern: Es waren Urgroßvater und Urgroßmutter, die damals verschleppt worden waren.

Im Mai 1937 konnten die Ehrmanns nach New Jersey emigrieren, „sie mussten ihre Heimat in der Rohrbacher Straße verlassen“, erinnerte Linda Ziskind in deutscher Sprache an das Schicksal ihrer Vorfahren. Ein Anruf aus Leimen hatte sie vor Jahren dazu bewogen, Briefe ihrer Mutter zu suchen und zu sichten. Und sich mit den drei Mädchen zu treffen, die nun vier Kerzen am Mahnmal entzündeten. Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht hatten das Projekt des Gurs und Noé Gedenksteins in die Tat umgesetzt.

„Nun haben unsere vier Opfer wieder ihre Namen zurück und damit ihre Würde und ihre Achtung wieder erlangt“, so Ziskind. Ihr Leben und das ihrer Familien seien stets mit den Opfern des Holocaust verbunden.

„Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht nach dem trachten, was deinem Nachbarn gehört, diese christlichen Gebote galten wohl nicht den Juden in Leimen.“ Pfarrer Steffen Groß sprach aus, dass Leimener Bürger die Juden aus ihren Häusern gerissen haben. Sein Amtskollege Arul Lourdu sprach im Gebet den Völkermord, den Terror und die gegenwärtige Gewalt weltweit an.

Corrigendum

In beiden obigen RNZ-Artikeln haben sich kleine Fehler eingeschlichen:

Im Artikel vom 9.November 2013 heißt es, dass Rick der Bruder von Linda Ziskind sei. Dies ist nicht richtig. Rick ist ebenso wie Bruce der Cousin von Linda Ziskind.

Im Artikel vom 11.November 2013 wurden die Berufsbezeichnungen von Richard und Bruce Ehrmann vertauscht. Richtig ist vielmehr, dass Bruce Ehrmann Immobilienmakler in New York ist und Richard Ehrmann ist Mitarbeiter bei der Journalisten-Berufsvereinigung Washington- Baltimore und der Vereinigung der Beschäftigten in der Kommunikationsindustrie in Amerika.

Bericht vom Oktober 2014

70 Jahre lang

Am 9.November 2013 wurde nun endlich das Mahnmal zur Erinnerung an die Juden, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen nach Gurs in Südfrankreich verschleppt wurden, mit einer bewegenden Feier im Foyer des Seligmann-Palais eingeweiht. Eigens zu dieser Gedenkfeier sind die Nachfahren der Leimener Juden aus Amerika angereist. Linda Ziskind, die Stiefurenkelin von Hugo und Karolina Mayer, die von ihrem Mann David begleitet wurde, und ihre zwei Cousins Bruce und Richard Ehrmann. Sie folgten mit großer Freude und Dankbarkeit einer Einladung, welche die Mitglieder des Mahnmal-Projektes Katharina Belman, Anastasia Gammermajster und Sabina Kinderknecht unter Leitung ihres Lehrers Martin Delfosse ausgesprochen hatten, und der sich die Stadt Leimen angeschlossen hat.


In einer kleinen Zeremonie wurde nach einer Rede des Oberbürgermeisters Wolfgang Ernst und unter Mitwirkung von Vladimir Rivkin und seiner Frau von der Musikschule Leimen den vier jüdischen Opfern der Deportation gedacht, indem die drei ehemaligen Schülerinnen der GSS-St.Ilgen vier Kerzen entzündeten und so den jüdischen Opfern ihren Namen und ihre Würde symbolisch zurückgaben. Neben einem Gebet für den Frieden, das der Pfarrer der Katholischen Seelsorgeeinheit Arul Lourdu sprach, und dem Bekenntnis von Scham und Schuld durch Pfarrer Steffen Groß, war die Rede von Linda Ziskind der Höhepunkt dieser Gedenkfeier. Im Zentrum ihrer Dankesrede stand der Hinweis auf das umfangreiche schriftliche Zeugnis ihrer Urgroßeltern. Die vielen Briefe aus Leimen und den Lagern Gurs und Noé erzählen die Geschichte ihres langen Leidens und Sterbens und geben Einblick in ihre Hoffnungen, Wünsche und Enttäuschungen.


70 Jahre lang lagen diese Briefe, welche in Folge der brutalen Gewalt der menschenverachtenden Naziideologie durch Deportation und Internierung von den jüdischen Opfern geschrieben wurden, nahezu unberührt in einem Karton verpackt. 70 Jahre lang interessierte sich niemand für diese Dokumente. 70 Jahre lang wollte man sich in Leimen nicht mit diesem dunklen Kapitel der Leimener Ortsgeschichte beschäftigen. 70 Jahre lang … bis drei Schülerinnen am Holocaust-Gedenktag am 27.Januar 2010 in Amerika bei den Nachfahren anriefen, weil sie sich entschlossen hatten, sich dieser längst überfälligen Erinnerungsarbeit zu stellen. Es stimmt traurig, dass die Kinder von Hugo und Karolina Mayer, die sich zu ihren Lebzeiten ein solches Engagement aus der Leimener Bevölkerung gewünscht hatten, dies nicht mehr erleben konnten. Friedel Ehrmann verstarb im Jahr 2003 und Kurt Mayer verstarb im Jahr 2007. Doch die Anwesenheit der Urenkel bei dieser Gedenkfeier zeigte die große Dankbarkeit der Nachfahren für diese Geste der Erinnerung und Versöhnung, welche die drei Schülerinnen stellvertretend für die Leimener Bevölkerung in die Tat umgesetzt und in Stein gemeißelt haben.

In der Gedenkfeier erhielten die jüdischen Opfer ihre Namen und ihre Würde zurück. In der gleichzeitigen Veröffentlichung aller ihrer schriftlichen Zeugnisse auf der Internetseite www.mahnmal-projekt-leimen.de, welche mit Zustimmung und auf ausdrücklichen Wunsch der Nachfahren erfolgte, erhielten die jüdischen Opfer auch ihre Stimmen zurück. Wer ihre Stimmen vernimmt, wird unweigerlich zur Erkenntnis und zur bleibenden Aufgabe geleitet, sich einzusetzen gegen Rassismus, Fremdenhass, Intoleranz und Diskriminierung jedweder Art, damit so etwas nie wieder passieren kann.

RNZ-Artikel vom 24.10.2014

Vier Leimener wurden von den Nazis grausam ermordet

Am 74. Jahrestag der Deportation nach Gurs hatte die Stadt zum Stillen Gedenken eingeladen

Von Sabine Geschwill

Leimen. „Vor 74 Jahren wurden alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger Badens und der Pfalz nach Gurs verschleppt“, erinnerte Oberbürgermeister Wolfgang Ernst. Unter ihnen waren auch vier Mitbürger aus Leimen: Hugo und Karolina Mayer sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma wurden in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen in Südfrankreich deportiert. In Erinnerung an die ermordeten jüdischen Mitbürger in der Zeit der Naziherrschaft hat die Stadt zum Jahrestag ihrer Deportation ins Foyer des Rathauses eingeladen.

„Nur wenige der über 6000 Deportierten überlebten“, sagte Ernst. „Viele starben in Gurs, die meisten anderen wurden später in die Vernichtungslager im Osten gebracht und dort ermordet.“ Hugo Mayer starb in Gurs, die anderen Leimener Juden in Auschwitz. „Auch heute darf diese Erinnerung nicht ausbleiben“, betonte der Oberbürgermeister. „Es ist eine Mahnung an uns alle, gegen Rassismus und Verfolgung Andersdenkender und Andersgläubiger aufzustehen.“

Vor einem Jahr wurde für die vier 1940 verschleppten und ermordeten Leimener im Foyer des historischen Rathauses ein besonderer Ort des Gedenkens geschaffen. Drei ehemalige Schülerinnen der Geschwister- Scholl-Schule hatten im Rahmen eines Schulprojekts die Geschichte der vier Opfer aus Leimen erforscht und der Öffentlichkeit präsentiert. Zusammen mit dem Leimener Steinmetz Udo Baumgärtner wurde dann ein Gedenkstein aus Sandstein geschaffen, der stets an die Tragödie erinnern soll.

Ein Pendant dieses Gedenksteins hat seinen Platz in Neckarzimmern gefunden. Dort wurde eine Gedenkstätte für alle Verschleppten der 137 badischen Gemeinden eingerichtet. Der Leimener Gedenkstein soll nach Abschluss der Bauarbeiten im Bereich des Rathausplatzes seinen Platz finden. Dort stand bis zum Jahr 1905 die Leimener Synagoge. Musikalisch untermalt wurde das „Stille Gedenken“ von der Musikschule Leimen.

Bei der Gelegenheit wies OB Ernst auf einen Termin hin, der ihm sehr am Herzen lag: Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, in der 1938 die jüdischen Synagogen in Flammen aufgingen, laden Leimener Chöre zu einem Benefizkonzert in die Aegidiushalle ein. Der Erlös soll Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu Gute kommen, die derzeit in der Region eine Zuflucht gefunden haben.

RNZ-Artikel vom 22.Oktober 2015


RNZ-Artikel vom 23.Oktober 2015

Die Verwandten der Deportierten melden sich in einem Brief zu Wort

Gedenkstunde am Gurs-Jahrestag – OB Ernst sieht Parallelen zu heute

Leimen. (fi) Im Leimener Rathaus erinnert ein Gedenkstein aus Sandstein an die deportierten Leimener Juden. Dort versammelten sich am gestrigen Gurs-Jahrestag erneut zahlreiche Menschen, um sich an die schlimmen Geschehnisse am Morgen des 22. Oktober 1940 zu erinnern. Nach dem ökumenischen Gottesdienst in der Mauritiuskirche richtete Oberbürgermeister Wolfgang Ernst seine Worte an die Zuhörer.

Zuvor war vor den Bildern der Verschleppten jeweils eine Kerze angezündet worden. „Vier Menschen aus Leimen wurden aus ihren Wohnungen gezerrt, mussten sich reisefertig machen, Geld und ein wenig Proviant zusammenraffen und wurden verladen“, so Oberbürgermeister Ernst. In Sonderzügen und Viehwaggons wurden die jüdischen Mitbürger auf Geheiß des Gauleiters Robert Wagner in das französische Internierungslager Camp de Gurs in den Pyrenäen deportiert.

Genannt wurden auch die Namen der Leimener: Hugo und Karolina Mayer, Karoline Bierig und ihre Tochter Selma. Hugo Mayer starb 1942 in Gurs, die anderen drei Deportierten wurden nach Auschwitz verbracht und kamen im dortigen Konzentrationslager zu Tode. Schüler der Geschwister-Scholl- Schule in St. Ilgen hatten vor zwei Jahren den Gedenkstein geschaffen, das Mahnmal soll nach Fertigstellung des neuen Rathauses dort seinen Platz finden. „Es ist die Wortwahl von damals, die heute wieder Raum greift und menschenverachtendes Gedankengut verbreitet“, mahnte Ernst mit Blick auf die aktuellen Kundgebungen in der Republik.

Die Familie Ziskind, Verwandte der damals aus Leimen Deportierten, ist heute in den USA wohnhaft. Die Ziskinds ließen einen Brief überbringen, den Martin Delfosse vorlas. Sie warnen davor wegzuschauen, wenn auch heute noch überall auf der Welt Verbrechen und Völkermorde geschehen. Elie Wiesel, Überlebender des Holocausts und Nobelpreisträger, wurde in dem Brief zitiert: „Ich habe geschworen, nie leise zu sein, wann immer und gleichgültig, wo Menschen Leid und Erniedrigung erdulden müssen.“

Das nahm der Oberbürgermeister zum Anlass, auf die gegenwärtige Situation zu sprechen zu kommen. Man solle helfen, wenn Menschen auf der Flucht seien, so Ernst. In stillem Gedenken wurde die Andacht an die Opfer des Judenmordes, des Holocausts und der Naziherrschaft beschlossen, Tom Flor und Jürgen Mauter umrahmten mit Gitarrenmusik von Anna Magdalena Bach die Feier.

Ökumenischer Gottesdienst am 22.Oktober 2015 zum 75.Jahrestag der Deportation

Am 22.Oktober 2015 fand in der Evangelischen Mauritiuskirche ein ökumenischer Gedenkgottesdienst statt, der an die schrecklichen Ereignisse der Deportation aller Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich erinnerte. Dabei wurde insbesondere der jüdischen Mitbürger aus Leimen gedacht, an Hugo Mayer und seine Frau Karolina, sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma, die am 22.Oktober 1940 noch in der Rohrbacherstraße mit der heutigen Hausnummer 12 lebten und bald nach ihrer Deportation ermordet wurden.

Vorbereitet und gestaltet wurde der Gottesdienst von Pfarrer Jörg Geißler und Pfarrer Arul Lourdu zusammen mit den Mitgliedern des Mahnmal-Projektes Leimen Katharina Belman, Anastasia Gammermajster, Sabina Kinderknecht und Martin Delfosse, sowie dem Organisten Michael A. Müller, der mit einem besonderen Orgelstück von Olivier Messiaen die verzweifelte Lage der damaligen Menschen jüdischen Glaubens dramatisch vergegenwärtigte.


Pfarrer Jörg Geißler übernahm in einer Meditation zu Psalm 59 die Perspektive eines Betroffenen und trug die eindringlichen Worte von Wolfgang Kahler vor: „Immer weiter knurren sie zähnefletschend; sie werden nicht satt. Erst haben sie uns die Rechte genommen, dann uns verachtet und entehrt. Wohnungen geplündert, Schaufenster eingeworfen, Gotteshäuser angezündet, Menschen verschleppt und gemordet. Jetzt stürmen sie vor, stellen sich auf und kläffen wie Hunde: Morgen, eintreffen auf dem Bahnhof! Nur ein Koffer mit Sachen darf mitgenommen werden! Mehr nicht! Wer zuwider handelt, wird sofort bestraft!“

Sabina Kinderknecht und Andastasia Gammermajster lasen daraufhin Auszüge aus Briefen vor, die bald nach der Ankunft in Gurs von den Leimener Juden geschrieben wurden und die ihre Not und Verzweiflung zwischen den von der Zensur bedrohten Zeilen zum Ausdruck brachten. In einem Brief von Selma Bierig vom 31.10.1940 war zu hören: „Mit unsrer Reise hierher ging das sehr schnell. Wir wurden morgens um ½ 8 Uhr geweckt, bekamen gesagt wir sollen packen und wurden mittags mit dem Auto nach Heidelberg an den Zug gebracht. ... konnten ... fast alles packen, sodass wir hier wenigstens keine Kleider u. Schuhe kaufen brauchen…. doch gibt es viele Leute die auch dies benötigen. .....Unser Absender ... Camp de Gurs, Ilȏt I Baraque 23.“


Pfarrer Jörg Geißler, Pfarrer Arul Lourdu und Martin Delfosse beendeten schließlich den ökumenischen Gedenkgottesdienst mit einem Buß- und Fürbittgebet, in dem auch auf die Lage der heutigen Flüchtlinge jedweder Religion aus den Krisengebieten unserer Erde hingewiesen wurde, genauso wie dies auch Linda Ziskind, die in New York lebende Nachfahrin der Leimener Juden, in ihrem Grußwort zum Ausdruck brachte, das Martin Delfosse nach dem Gottesdienst am Mahnmal im Foyer des Alten Rathauses verlas:

„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte, die mit den Juden in Baden passiert ist, nie vergessen. Aber ich glaube, wenn wir wirklich ihr Gedächtnis in Ehren halten wollen, müssen wir mehr tun als nur erinnern und gedenken. Wir müssen anerkennen, dass Verfolgung, Gewalt und Völkermord Verbrechen sind, die auch heute noch passieren, und sie geschehen gut sichtbar, in aller Öffentlichkeit, auch wenn einige sich entscheiden, wegzuschauen. Egal ob es uns passiert, jemandem, den wir kennen oder einem Fremden, es bleibt unsere Angelegenheit. In der Dankesrede für seinen Friedensnobelpreis schrieb Autor und Friedensaktivist Elie Wiesel 1986, ‘Ich habe geschworen, nie leise zu sein, wann immer und gleichgültig wo Menschen Leid und Erniedrigung erdulden müssen.’ Ich hoffe, dass wir bei der heutigen Gedenkfeier diese Erkenntnis gewinnen, und dass die Erinnerungen an damals vor 75 Jahren uns dazu inspirieren, den Menschen zu helfen, die heute in Not sind. Danke.“



Bericht zum Gurs-Gedenken am 9.November 2016

Schwamm drüber!?

„Nun lieber Kurt wirst Du oft über die Verhältnisse …[in Leimen]* gefragt haben und wie unverschämt sich diese benommen haben …. Wir wissen jetzt nicht, ob wir noch mal nach Leimen fahren (Schwamm drüber).“
[* Der hier ergänzte Begriff „in Leimen“ ersetzt an dieser Stelle verkürzend die Ausführungen Hugo Mayers, die im Detail hier eingesehen werden können.]

Diese Worte stammen von Hugo Mayer, geschrieben im Lager Noé am 21.April 1941 an seinen zwanzigjährigen Sohn Kurt in Manchester. Nach seiner Verschleppung aus seinem Haus in der Leimener Rohrbacherstraße am 22.Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs, nach der Verlegung in das Lager Noé im Februar 1941, gezeichnet von körperlichen Gebrechen und Schmerzen gehen die Gedanken von Hugo Mayer im Angesicht des erlebten Elends in den Internierungslagern zurück nach Leimen.

Stolz ist er, stolz über seinen Sohn in England, stolz, welche Arbeitsstelle dieser dort innehat, stolz über das, was er selbst in Leimen als ehrlicher Geschäftsmann erreicht hat. Umso mehr ist er verletzt, dass bestimmte Personen in Leimen, die er namentlich nennt, sich ihm gegenüber so unverschämt benommen haben. Was konkret vorgefallen ist, erfährt man kaum, in welcher Beziehung er zu diesen Personen stand, erfährt man ebenso wenig, jedenfalls waren es Menschen, die er zu kennen glaubte, und von denen er doch so enttäuscht wurde.

Unabhängig davon, welches Ausmaß an Ungerechtigkeiten und Demütigungen insbesondere das Jahr 1940 für die Juden in Leimen mit sich brachte, so steht doch fest, das Leiden für Hugo und Karolina Mayer begann nicht erst am Tag der Deportation, das Leiden bestand schon vorher. Karolina Mayer schreibt in demselben Brief, dass sie aufgrund der Vorfälle noch dort in Leimen stark abmagerte. Man kann sich vorstellen, wie das den beiden zugesetzt hat, als ehrliche unbescholtene Bürger so viel in und für Leimen geschafft zu haben und dann, weil sie Juden waren, ihres Eigentums, ihrer Rechte und ihres Ansehens beraubt zu werden. Neben den damals üblichen Restriktionen und Ausgrenzungen blieben auch persönliche Beziehungen zu Leimener Bürgern auf der Strecke, weil diese sich unverschämt benommen haben.

Und trotz alledem, trotz dem für uns kaum vorstellbaren Leiden im Internierungslager, waren die Gedanken von Hugo Mayer nicht beherrscht von Rache. Von Hunger und Krankheit ausgezehrt und zermürbt ahnte er wahrscheinlich, dass er nicht mehr nach Leimen zurückkehren würde, sondern in der Ferne sterben muss. So ist, denke ich, sein Wort vom „Schwamm drüber“ zu verstehen als ein Anerkennen der unveränderbaren Situation, als Ausdruck einer verloren gegangenen Hoffnung, die Heimat wiedersehen zu können, gepaart mit einer stolzen Würde. Hugo Mayer spricht damit gleichsam zu sich selbst, denn er muss sich damit abfinden, die Leimener Verhältnisse nicht mehr selbst regeln zu können, seine Ehre nicht mehr selbst wiederherstellen zu können, deshalb „Schwamm drüber“. Und deshalb hat er dieses Wort wohl auch in Klammern gesetzt, als enttäuschter Nachsatz der Unabänderlichkeit, als Einschränkung, weil er eigentlich weiß, wegwischen und vergessen kann man das nicht, was da in Leimen und in Deutschland mit den Juden passiert ist.

Wegwischen und vergessen, dies darf eben nicht geschehen, sonst hätten die Nazischergen von damals gewonnen, wenn ihre Opfer in Vergessenheit gerieten. Und so ist es gut, richtig und wichtig, dass auch im Jahr 2016 am 9. November mit einer ökumenischen Andacht in der katholischen Kirche, gestaltet von den Pfarrern Arul Lourdu, Holger Jeske-Heß und Jörg Geißler, der jüdischen Opfer aus Leimen gedacht und anschließend am Mahnmal nach einer Gedenkrede von Oberbürgermeister Hans Reinwald ein Brief der jüdischen Opfer aus Noé vom 20./21.April 1941 durch die Mitglieder des Mahnmalprojektes verlesen wurde.

Oberbürgermeister Hans Reinwald betonte in seiner Ansprache, dass die Erfahrungen von damals uns dazu verpflichten, sich heute gegen Ausgrenzung und gegen Fremdenhass einzusetzen. Ein Gedanke, der auch in der ökumenischen Andacht mehrfach eine Rolle spielte, dass es heute gilt wachsam zu sein gegenüber allen nationalistischen, juden- oder islamfeindlichen und rassistischen Gedanken, Worten und Taten.



RNZ-Artikel vom 11.November 2016

Sie wurden aus dem Schlaf gerissen, um in den Tod zu reisen

Gedenkstunde anlässlich der Verschleppung jüdischer Mitbürger ins Internierungslager Gurs

Von Sabine Geschwill

Leimen. Die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten liegen schon lange zurück. Ihre Folgen bleiben aber unvergessen, sie sind in den Köpfen einer ganzen Nation verankert. Das Hitler-Regime forderte viele Opfer, darunter auch vier jüdische Mitbürger aus Leimen. Das Ehepaar Hugo und Karolina Mayer sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma wurden, wie viele jüdische Mitbürger aus den Städten und Dörfern Badens und der Pfalz, am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 von den Männern der Gestapo aus dem Schlaf gerissen und aufgefordert, sich in kürzester Zeit reisefertig zu machen. Sie sollten auf Befehl in Sonderzügen in das französische Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen deportiert werden. Es sollte ihre letzte Reise werden: Sie führte direkt in den Tod. Hugo Mayer starb in Gurs, die anderen Leimener Juden in Auschwitz.

Um an das traurige Schicksal dieser unschuldigen Mitbürger und an die vielen Tausend Opfer des Nazi-Regimes zu erinnern, hatte Oberbürgermeister Hans D. Reinwald am Jahrestag der Pogromnacht zusammen mit den Pfarrern Leimens zu einer Gedenkstunde ins Foyer des historischen Rathauses eingeladen. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und spätestens seit den schändlichen Nürnberger Rassegesetzen und der Pogromnacht am 9. November 1938 war das Leben der Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland unerträglich geworden.

„Wir Nachgeborenen vermögen uns die Angst und den Schrecken dieser Lebensbedingungen kaum vorzustellen“, stellte der Oberbürgermeister in seiner Ansprache hervor. Er machte sehr deutlich, dass man aus den damaligen schrecklichen Ereignissen eine Lehre ziehen sollte und der Ausgrenzung von Menschen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Glauben vehement entgegentreten müsse. „Viele Reden werden wieder in Deutschland gehalten, die menschenverachtendes und gehässiges Gedankengut verbreiten“, sagte Hans D. Reinwald. „Das darf nicht sein, dagegen müssen wir uns mit aller Kraft wehren.“ Dies sei eine Aufgabe für alle, betonte der Rathauschef.

Die Gedenkfeier fand nicht ohne Grund im Foyer des Rathauses statt. Dort wurde nämlich vor zwei Jahren in Erinnerung an die Leimener Opfer ein Gedenkstein aufgestellt. Die Idee dazu hatten im Rahmen eines Schulprojektes an der Geschwister-Scholl-Schule die damaligen Schülerinnen Katharina Belman, Sabina Kinderknecht und Anastasia Gammermajster. Der Gedenkstein selbst wurde vom Leimener Steinmetz Udo Baumgärtner aus Sandstein geschaffen. Ein Pendant dieses Monuments hat seinen Platz in Neckarzimmern gefunden. Dort wurde eine Gedenkstätte für alle Opfer aus 137 badischen Gemeinden eingerichtet. Der Leimener Gedenkstein soll nach dem einvernehmlichen Beschluss des Gemeinderates im Bereich des neuen Rathauses seinen endgültigen Platz finden.

Gemeinsam mit Lehrer und Projektbetreuer Martin Delfosse nahmen die ehemaligen Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule an der Gedenkstunde teil und lasen Auszüge aus Briefen der verschleppten Leimener Juden. Für die passende musikalische Untermalung der Gedenkstunde sorgte Vladimir Rivkin von der Musikschule.

Corrigendum

In dem obigen RNZ-Artikel haben sich drei kleine Fehler eingeschlichen:
  • Im RNZ-Artikel steht, dass Hugo Mayer in Gurs verstarb. Richtig ist vielmehr, dass Hugo Mayer am 1.1.1942 in Noé verstorben ist.
  • Im RNZ-Artikel steht, dass der Gedenkstein vom Steinmetz Udo Baumgärtner geschaffen wurde. Richtig ist vielmehr, dass es die drei Schülerinnen waren, die den Gedenkstein unter Anleitung und mit Unterstützung von Steinmetz Udo Baumgärtner erstellt haben.
  • Die Bildunterschrift im RNZ-Artikel zeigt eine falsche Reihenfolge der Mitglieder des Mahnmalprojektes. Die richtige Reihenfolge von links nach rechts lautet: Sabina Kinderknecht, Anastasia Gammermajster, Martin Delfosse, Katharina Belman.


Bericht zum Gurs-Gedenken am 9.November 2017

Die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Leimens und St.Ilgens erinnerten am 9.November 2017 zusammen mit den Vertretern der Stadt Leimen an die Novemberpogrome von 1938 und an die Deportation badischer Juden nach Gurs vom Oktober 1940.

Zunächst fand ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in der evangelischen Mauritiuskirche statt, welcher von Pfarrer Holger Jeske-Heß, Pastoralreferent Gernot Hödl und Martin Delfosse gestaltet wurde. Danach fand man sich um 19 Uhr zum Gedenken im Foyer des Alten Rathauses ein, wo der Gedenkstein vorübergehend aufgestellt ist, um am Mahnmal der ermordeten Opfer jüdischen Glaubens zu gedenken.

Nach einer Ansprache von Oberbürgermeister Hans D. Reinwald, in der er aufrief, sich auch heute gegen menschenverachtendes und gehässiges Gedankengut zur Wehr zu setzen, las Martin Delfosse aus einem Brief der deportierten Leimener Juden vom 25.Mai 1941 vor. Dieser Brief machte deutlich, dass mit den jüdischen Mitbürgern aus Leimen auch Verwandte aus der näheren und weiteren Umgebung deportiert wurden. Namentlich genannt sind in diesem Brief Elsa und Guta Mayer, die zwei Jüdinnen aus Nußloch, und Recha und Fritz Sicher aus Bruchsal. Zugleich zeigt dieser Brief den Schmerz der Deportierten, getrennt und fernab ihrer Lieben zu sein, und ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen. Karolina und Hugo Mayer sprechen in diesem Brief davon, dass es ihnen den Umständen entsprechend gut geht. Aussagen, die den Kindern nicht noch mehr Sorgen bereiten sollten, aber ihr Leiden klingt zwischen den Zeilen an und berührte alle Zuhörer, die am Gedenken teilgenommen haben.



RNZ-Artikel vom 11.November 2017

„Geschichte soll sich nicht wiederholen“

Bürger gedachten im Alten Rathaus des Holocausts

Leimen. (kaz) Man riss sie nachts aus dem Schlaf, brachte sie zum Bahnhof und steckte sie mit wenig Gepäck in überfüllte Sonderzüge Richtung Gurs: So erging es vor 77 Jahren auch vier jüdischen Mitbürgern aus Leimen, die im Oktober 1940 im französischen Internierungslager landeten und von dort zum Teil nach Auschwitz deportiert wurden. Es waren Hugo und Karolina Mayer sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma. Keiner von ihnen überlebte den Holocaust. Im historischen Rathaus erinnerte Oberbürgermeister Hans Reinwald anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 an die damaligen Geschehnisse und bezeichnete die den Menschen angetanen Leiden als unerträglich.

Im Foyer des Gebäudes steht seit einigen Jahren ein Gedenkstein für die Nazi-Opfer von Gurs und Auschwitz, den drei Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Schule im Stadtteil St. Ilgen gestalteten. „Das war richtig viel Arbeit“ weiß Lehrer Martin Delfosse, der das Mahnmal-Projekt damals begleitete. Es gibt ein Pendant in der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern. Nicht nur Baden, sondern auch die Pfalz und das Saarland schickten vor 77 Jahren Tausende jüdischer Familien ins Verderben.

Bei der Holocaust-Gedenkfeier im Alten Rathaus, wo der von Hand behauene Stein steht, las Delfosse aus erhalten gebliebenen Briefen von Karolina und Hugo Mayer an ihren Sohn Kurt, dem die rechtzeitige Flucht nach Großbritannien gelungen war. Mit den Titeln „Halleluja“ und „Donna Donna“, vorgetragen auf Flöte und Gitarre, war die örtliche Musikschule bei der Feier präsent.

Oberbürgermeister Hans Reinwald kam gerade von einem vorangegangenen ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Herz-Jesu-Kirche und hätte sich zur Gedenkfeier im Alten Rathaus ein paar Gäste mehr gewünscht. An die Anwesenden richtete er den Appell: „Zurzeit sieht es so aus, als sei es schon wieder so weit. Doch die Geschichte soll sich nicht wiederholen: Bitte treten Sie dem entgegen!“

Corrigendum

In dem obigen RNZ-Artikel haben sich zwei kleine Fehler eingeschlichen:
  • Der vorgelesene Brief von Karolina und Hugo Mayer war nicht an ihren Sohn Kurt gerichtet, sondern an ihre Tochter Friedel Ehrmann in Amerika. Der Sohn Kurt wurde darin lediglich angesprochen.
  • Der ökumenische Gedenkgottesdienst fand nicht in der Herz-Jesu-Kirche, sondern in der Ev. Mauritiuskirche statt.


Plädoyer für eine neue Erinnerungskultur in Leimen

Gedanken zum 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2020

Am 8. Mai 1945 wurde Deutschland von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befreit. In den Wochen und Monaten davor wurden viele Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis befreit, Ausschwitz in Polen am 27. Januar, und in Deutschland Buchenwald am 11. April, Bergen-Belsen am 15. April, Sachsenhausen am 22. April, Flossenbürg am 23. April, und Dachau am 29. April, um nur einige zu nennen. Das Ende von Krieg und Gewaltherrschaft, sowie das Ende der mörderischen Vernichtung in den Lagern der Nazis, dies sind die beiden zentralen Inhalte, derer wir uns aus Anlass des 75. Jahrestages des Kriegsendes erinnern.

Dieses Erinnern ist richtig und gut so, denn gerade im Hinblick auf neue rechtsradikale Tendenzen, welche das Ausmaß der menschenverachtenden Nazizeit verharmlosen, relativieren, kleinreden oder aufrechnen wollen, ist die Erinnerung an die Opfer der Nazis wichtiger denn je. Wir müssen leider auch erleben, wie der Antisemitismus in vielen Köpfen wieder wächst. Hinzu gesellt sich antijüdisches Denken radikaler Islamisten. Es gibt leider Anlass genug, an die menschenverachtenden Gewalttaten der Nazis zu erinnern, damit so etwas nie wieder geschehen kann.

Diese Erinnerungskultur muss bewahrt werden. Sie muss bewahrt werden auch vor einer rituellen Erstarrung, denn vor allem junge Menschen fühlen sich von der Art und Weise, wie dieses Gedenken gestaltet wird, nicht mehr angesprochen. Sie fragen sich: Was hat das mit uns zu tun, was hat das mit uns heute zu tun und was hat das mit uns hier in Leimen zu tun? Es sind doch gerade die jungen Menschen, die in zukünftigen Generationen verantwortlich sein werden, in diesem Erinnern nicht nachzulassen. So ist es an der Zeit, mit diesen jungen Menschen gemeinsam auf die Suche zu gehen und neue Gestaltungsformen der Gedenktage zu entwickeln, die über das bloße „stille“ Gedenken, die bloße Zeremonie in der Art eines Totengedenken hinaus gehen. Jugendliche persönlich in Bezug auf ihr Einfühlungsvermögen ansprechen, mit ihnen aktuelle Bezüge herausarbeiten und die örtlichen Verhältnisse während der Nazizeit in Leimen beleuchten, damit lassen sich wieder mehr Menschen für dieses Thema interessieren.

75 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur scheint es mir dringend nötig zu sein, miteinander kreative Ideen zu entwickeln, wie wir die Gedenktage an die gesellschaftlichen, demokratischen und pädagogischen Herausforderungen der heutigen Zeit anpassen können. Der alljährliche Tag zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz am 27. Januar, an das Ende des Krieges am 8. Mai, an die Deportation der Juden nach Gurs am 22. Oktober, an die Reichspogromnacht am 9. November und der alljährliche Volkstrauertag sind gute Möglichkeiten das Schweigen zu durchbrechen, Begegnungsmöglichkeiten unterschiedlicher Menschen zu schaffen, Zeitzeugenberichte, Information und Kommunikation in den Mittelpunkt zu stellen, den gesellschaftlichen Diskurs und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Es bedarf meiner Meinung nach heutzutage neuer gemeinschaftlicher Anstrengungen, um die Erinnerung an Krieg, an Gewaltherrschaft und an den Holocaust als Mahnung unter uns dauerhaft lebendig zu erhalten.

"Erinnerung als Mahnung!"

Am 22. Oktober 2020 jährt sich die Deportation badischer Jüdinnen und Juden nach Gurs zum 80. Mal. Aus diesem Anlass läuten in ganz Baden die Glocken, bei uns in Leimen um 19 Uhr. In vielen Orten Badens werden zum Geläut der Glocken die Namen der Opfer verlesen. Landesbischof Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh schreibt dazu: „Die Verlesung der Namen ist ein Beweis, dass es den Nationalsozialisten nicht gelungen ist, jegliche Erinnerung an ihre Opfer zu tilgen.“ Aus Leimen wurden am 22. Oktober 1940 verschleppt:

Hugo Mayer, gest. 1942 Noé
Karolina Mayer, gest. 1944 Auschwitz
Karoline Bierig, gest. 1942 Auschwitz
Selma Bierig, gest. 1942 Auschwitz

Wir gedenken dieser vier jüdischen Mitbürger aus Leimen und wollen mit unserem gemeinsamen Wort der Leimener Kirchen ein Zeichen setzen: Gewalt, Hass und Hetze haben keinen Platz in unseren Gemeinden und in unserem Land.

Gemeinsames Wort der Leimener Kirchen
zum 80. Jahrestag der Deportation badischer Juden nach Gurs

Was war?
Was wird sein?
Wir sind nicht verantwortlich dafür, was war!
Wir sind verantwortlich dafür, was sein wird!

Wir erinnern uns an die Deportation badischer Juden nach Gurs vor 80 Jahren. Auch in Leimen wurden Juden am 22. Oktober 1940 verschleppt. Sie starben in den Lagern in Südwestfrankreich an Hunger und Krankheit unter unmenschlichen Bedingungen oder wurden in Ausschwitz ermordet.

Sie starben aus Gründen, die leider auch heute wieder aktuell sind. Antisemitisches, rassistisches Gedankengut verschiedener Schattierungen ist in Teilen unserer Gesellschaft präsent. Hinzu gesellt sich Hetze und Hass gegenüber Fremden, nicht selten in Verbindung mit Verschwörungstheorien.

Wir Christen dürfen nicht schweigen, wenn unsere jüdischen Mitbürger wieder in einem Klima der Angst leben müssen. Wir Christen dürfen nicht schweigen, wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion bedroht werden.

Im Bekenntnis zur Liebe Gottes zu uns Menschen treten wir ein für eine offene und tolerante Gesellschaft, für ein friedliches Miteinander in gegenseitigem Respekt. Daher erinnern wir uns an das was war, als Mahnung für uns alle in Gegenwart und Zukunft.

Als sichtbares Zeichen dieser Mahnung steht im Foyer des Alten Rathauses Leimen ein Gedenkstein. Er wurde im Rahmen des Ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal von drei Jugendlichen angefertigt. Der Gemeinderat Leimen hat am 21. März 2013 dazu folgenden Beschluss gefasst: „Nach Abschluss der Bauarbeiten am Rathausplatz wird er endgültig im Bereich des Rathausplatzes aufgestellt und in Abstimmung mit dem Gemeinderat ein würdiger Platz gefunden."

Wir erinnern aus gegebenem Anlass auch daran, dass der Gemeinderat zu seiner Verantwortung steht und mit den Planungen für die Umsetzung dieses Gemeinderatsbeschlusses rechtzeitig beginnt. Möge dieser Gedenkstein ein Stein des Anstoßes zum Schutz der Würde aller Menschen sein!

Evang. und Kath. Kirchengemeinden Leimen, St. Ilgen und Gauangeloch