Briefe von Paula Glück
von 1944/45 aus Isère Frankreich an Kurt Mayer in England
Paula Glück (geb. am 24.10.1877) wurde von Waibstadt
aus deportiert und hat Karolina Mayer im Lager Noé
kennengelernt. Auch als Paula Glück vom Lager Noé
in das
"Hospice de St. Laurent Port Isère" verlegt wurde,
konnte
sie mit Karolina Mayer brieflichen Kontakt halten. Paula Glück
überlebte den Holocaust und lebte bis zu ihrem Tod am
01.03.1964 in Buenos-Aires. Dank ihrer warmherzigen und
anrührenden Briefe wissen wir, dass Karolina Mayer nach Gurs
und
Noé auch noch in das Camp de Vernet kam. Wahrscheinlich
hat Paula Glück ihren ersten Brief vom 03.01.1944 in
Wirklichkeit
am 03.01.1945 geschrieben und zu Beginn des Jahres
versehentlich
noch die alte Jahreszahl notiert. Denn nur
unter dieser Voraussetzung ergeben ihre im Brief gemachten zeitlichen
Angaben einen Sinn. Der
Deportationsverlauf von Karolina Mayer lässt sich unter dieser
Voraussetzung zeitlich
folgendermaßen rekonstruieren:
Brief
von Paula Glück vom 03.01.1944 an Kurt Mayer in England
„Werte
Familie Mayer!
Öfter
nahm ich mir schon vor, Ihnen einmal zu schreiben, und heute soll es
wahr sein. Hoffe Sie und Ihre liebe Frau, die ich ja bildlich sah, und
mir gut gefiel, bei bester Gesundheit. Mein Name wird Ihnen noch
bekannt sein, da ich doch mal in den Brief Ihrer lieben,
unvergesslichen u. feinen Mutter, mit einer so seltenen
Herzensgüte, Grüße beifügte. Wir
haben uns in Noe
die Adressen unserer Verwandten gegenseitig aufgeschrieben, sonst
könnte Ihnen nicht schreiben. Wir waren in Camp de Noe 2
½
Jahre beisammen, nebeneinander geschlafen, harmoniert wie Schwestern,
Freud u. Leid geteilt, auch unsere Lebensmittel u.s.w. Nun kam ich weg,
da ich wegen meinem Alter hierher kam, und Ihre gute Mutter kam
¾ Jahr später dort weg, und zwar nach Camp de
Verne, wo sie
8 Monate war, im Mai bekam ich den letzten Brief leider, und mein
letzter Brief hat sie nicht mehr erhalten, kam zurück, Adresse
unbekannt, auch das Mandat mit 100 Fr. kam zurück habe
nämlich gleich weggeschickt, da Ihre l. Mutter schrieb, Ihre
Finanzen seinen z. Zeit nicht gut, und ich sagte mir, wenn das die l.
gute Karolin schreibt, lasse ich sie nicht in Not, und habe meine
Barschaft mit Ihr geteilt. Mit Tränen in den Augen, als ich
dies
zurück erhielt. Alle Abend schließe ich sie in mein
Gebet
mit ein, der l. Gott soll sie gesund zu Ihren l. Kindern
zurückkehren lassen. Man sagte z. Zeit, seien in ein Lager
nach
Dransi, bei Paris gekommen. Wie sie hinkamen, können sie nicht
schreiben. Es waren halt z. Zeit die Frauen bis 65 weg, und ich war 66
– Schade, dass Sie Ihr jetzt nichts schicken können,
da doch
jetzt die Leute von England Post u. auch Geld bekommen. Meine
Verwandten sind in Buenos-Aires, wo ich hin will, hatte schon mein
Schiffsplatz (?). Die anderen in Lausanne, wo ich von Ihm in Frankreich
mein Gehalt (?) bekomme. G.G. er wird doch die Menschen-Morderei, bald
aufhören, man hätte genug. Wir sind hier gut
untergebracht,
ich würde etwas darum geben, wenn ich Ihre liebe Mutter bei
mir
hätte. (?) Familie Mayer habe Ihnen jetzt viel geschrieben.
Ich
würde mich herzlich freuen, von Ihnen auch etwas zu
hören.
Weiter alles Gute, und herzlich grüßt Sie Ihre Paula
Glück.
Hospice
de St. Laurent (?) Port Isère Frankreich
Frau
Traub ist auch im Hause
Es
grüßt Sie Frieda Traub aus Wiesloch. Norbert ist
Soldat u. jetzt in Italien bei d. Flieger“
Brief
von Paula Glück vom 20.06.1945 an Kurt Mayer in England
„Liebe
Familie Mayer!
Nehme
an, dass Sie meine letzte Karte erhalten haben. Hoffe bei Ihnen alles
gesund u. munter, auch ich bin zufrieden, bis alles mal nach dem
unsagbar schweren Kriege anderst kommt, für uns alle, wie es
seither war. Leider, leider muß ich Ihnen mit schwerem
Herzen, u.
mit zu großer Aufregung, mit meinem Innern mitteilen, dass
Eure
liebe Mutter, meine unvergessende liebe Schwester, so muß ich
u.
kann nicht anderst schreiben, ein Opfer des großen Mordes, wo
begangen wurde an den vielen Menschen, auch nicht verschont geblieben.
Wie schwer mir diese Worte fallen, Ihnen l. Familie zu schreiben,
können Sie sich denken, und mit mir fühlen, und ich
musste
Sie doch davon benachrichtigen. Eine Frau, wo in unserer Baracke in Noe
war, hat an eine Frau, die in meinem Saal ist, geschrieben, und jetzt
von dort, wo dieselbe scheints mit Ihrer l. guten Mutter beisammen war,
geschrieben. Sie selbst, sei wie ein Wunder verschont geblieben, und
könne nicht über alles schreiben, unter anderem
schrieb sie,
auch unsere brave Karoline ist nicht mehr – (?)
unvergessliche
Mutter hat der Frau als genäht, für Ihren 18
jährigen
Sohn, von dem sie auch nichts weiß – Sie ist zu
Ihren
Eltern zurück, die Mutter von ihr war auch in der Baracke in
Noe
bei uns. Ich habe der Frau geschrieben, Sie solle mir schreiben u.s.w.
Es ist nicht zu glauben, ich kann als Nachts nicht einschlafen, und
habe ihr liebes aufrichtiges Gesichtchen, mit den treuen Augen in
ewiger Erinnerung. Ihre Grüße vom Camp de Verne, aus
werde
als Andenken aufbewahren. – Nun wollen wir ihr die Ruhe
gönnen. Haben Sie kein Bildchen von ihr? Wie oft haben wir als
zusammen Ihr Bild betrachtet mit Ihre l. Frau, und so sagte sie als,
ich habe keine Angst für meinen Kurt, er macht den Mann, wenn
er
auch noch jung ist, und die l. Hannelore hat ihr auch gut gefallen,
hauptsächlich die l. Briefe. Von meinem Neffen in Lausanne hat
sich auch ein Sohn verlobt, ist auch erst 23. Meine liebe Schwester
schrieb von dort. Jung gefreit, hat noch nie gereut. – Nun l.
Familie Mayer habe Ihnen geschrieben, gönnen Sie Ihrer l.
unvergesslichen l. Mutter die Ruhe. Sie hat nur gekämpft von
allerhand Leiden. Bleiben sie weiter gesund beisammen und empfangen
für heute die herzlichsten Grüße von Ihrer
Paula
Glück und in Gedenken Ihrer l. Mutter.
Entschuldigen
Sie mein Schreiben bin zu aufgeregt –
Mademoiselle
Paula Glück Hospice St. Laurent Isere“
Brief
von Paula Glück vom 07.10.1945 an Kurt Mayer in England
„Liebe
Familie Mayer!
Ihr
lieber Brief von Juli habe erhalten, freu mich dass bei Ihnen alles
gesund ist. Auch ich bin zufrieden, man kann sich z. Zeit aufrecht
erhalten, durch die Päckchen die ich jetzt von meinem Neffen
aus New Jork von Zeit zu Zeit erhalten, doch wird soviel heraus
gestohlen, und sind schon Schritte dafür getan worden, doch
wird es nicht viel helfen muß halt schreiben, daß
sie dieselben doppelt gut packen. Denn mit der Kost vom Hause kann man
unmöglich auskommen. Mit dem Bildchen habe mich unsagbar
gefreut, habe dasselbe zu den Bildern von meinen Lieben getan. Ihre l.
Mutter ist ja so gut getroffen, hat immer lachende Züge in
Ihren so treuen guten Gesicht. Ihr l. Vater ist auch gut getroffen. Wir
werden voraussichtlich diesen Winter noch hier bleiben müssen,
soviel man hört. Doch wir sind ja sonst menschlich
untergebracht, und haben 5 Jahre hinter uns, wird d. l. Gott mich
weiter gesund erhalten. Mein Neffe in Buenos Aires der schon 23 Jahre
dort ist, wird schon Schritte tun, wenn die Ausreise einmal ernst
werden soll. Wie oft ich mich im stillen bei Tag u. Nacht mit ihrer
lieben Mutter unterhalte, kann Ihnen nicht schreiben. Nehme als Ihre
Briefe, die ich alle aufgehoben habe, und unterhalte mich mit. Wie oft
hat sie als Ihr Bild betrachtet, wo Ihre l. Frau auch drauf ist, und
die Bilder ihrer Schwester Friedel nebst Kinder. Die
Menschenmörder werden ihren Lohn für Ihre
unmenschlichen Greueltaten doch auf gleiche Art, noch viel zu gut
büsen müssen - . Wollen wir der selten guten u.
feinen Frau die Ruhe gönnen. Wie viele werden noch gesucht,
und wohl nie mehr zurückkommen? In Auschwitz soll Ihre l.
Mutter mit noch einer Frau Fisch aus Heidelberg mit der wir beisammen
waren in Noe, und ich glaube ein Frl. Rosa Metzger, die in Camp Verne
neben Ihrer Mutter lag ist noch bischen verwandt mit Ihnen, ist
öfter als zu Ihrer l. Mutter gekommen, hat immer Tante zu ihr
gesagt, ihr Leben hingeben mussten, und von den anderen in unserer
Baracke in Noe haben wir nichts mehr gehört, und sind hier
auch nicht mehr. Man darf nicht denken. Eine Frau Professor Edinger,
der Ihre l. Mutter alle ihre Sachen genäht hat, und auch bei
mir hier ist, hat mir gestern gesagt,
[Am
Briefanfang auf dem Kopf stehend] Entschuldigen
den beschmutzten Bogen, hatte kein Papier mehr zur Hand.“
Ergänzende
Hinweise:
Paula
Glück schreibt anfangs ihres ersten Briefes vom 03.01.1944, dass sie
einem Brief von Karolina Mayer Grüße beigefügt hat. Damit meint sie den
Brief
von Karolina Mayer vom 06.07.1942 aus dem Lager Noé.
Paula
Glück
schreibt in ihrem ersten Brief vom 03.01.1944 als Begründung
dafür,
warum sie bisher nicht nach Drancy gebracht wurde: „Es
waren halt z. Zeit die Frauen bis 65 weg, und ich war 66.“
Diese Altersbegrenzung von 65 Jahren scheint auf den ersten Blick nicht
plausibel zu sein, hat aber wahrscheinlich doch einen gesetzlichen
Hintergrund. Denn nach einem "Runderlass des französichen
Innenministeriums vom 17.09.1939 bzgl. Ausländern und
Staatenlosen
sowie diesen Personenkreis betreffenden
Internierungsmaßnahmen"
wurde verfügt, dass aus dem deutschen Reich stammende
Ausländer zwischen 17 und 65 Jahren in Sammellagern
festzuhalten
sind, auch wenn sie als politische Flüchtlinge anzusehen sind.
(Dieser Runderlass ist vollständig abgedruckt in folgendem
Aufsatz: Barbara Vormeier, Die Lage der deutschen Flüchtlinge
in
Frankreich. September 1939 - Juli 1942, in: Jacques Grandjonc/Theresia
Grundtner (Hrsg.), Zone der Ungewißheit. Exil und
Internierung in
Südwestfrankreich 1933-1944, Hamburg 1993, S. 210 - 234.)
Die im letzten Brief von Paula Glück vom 07.10.1945
angegebenen
Informationen, dass Frau Fisch und Frau Metzger zusammen mit
Karolina
Mayer in Auschwitz waren, werden durch die Transportlisten von Drancy
bestätigt. Sowohl Hermine Fisch, als auch Rosa Metzger waren im Lager Vernet
und standen auf der gleichen Transportliste Nr.
75 von Drancy nach Auschwitz vom 30.Mai 1944.
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