RNZ-Artikel vom
22.Oktober 2015
RNZ-Artikel vom
23.Oktober 2015
Die
Verwandten der Deportierten melden sich in einem Brief zu Wort
Gedenkstunde
am Gurs-Jahrestag – OB Ernst sieht Parallelen zu heute
Leimen. (fi) Im
Leimener Rathaus erinnert ein Gedenkstein aus Sandstein an die
deportierten Leimener Juden. Dort versammelten sich am gestrigen
Gurs-Jahrestag erneut zahlreiche Menschen, um sich an die schlimmen
Geschehnisse am Morgen des 22. Oktober 1940 zu erinnern. Nach dem
ökumenischen Gottesdienst in der Mauritiuskirche richtete
Oberbürgermeister Wolfgang Ernst seine Worte an die Zuhörer.
Zuvor war
vor den Bildern der Verschleppten jeweils eine Kerze angezündet worden.
„Vier Menschen aus Leimen wurden aus ihren Wohnungen gezerrt, mussten
sich reisefertig machen, Geld und ein wenig Proviant zusammenraffen und
wurden verladen“, so Oberbürgermeister Ernst. In Sonderzügen und
Viehwaggons wurden die jüdischen Mitbürger auf Geheiß des Gauleiters
Robert Wagner in das französische Internierungslager Camp de Gurs in
den Pyrenäen deportiert.
Genannt
wurden auch die Namen der Leimener: Hugo und Karolina Mayer, Karoline
Bierig und ihre Tochter Selma. Hugo Mayer starb 1942 in Gurs, die
anderen drei Deportierten wurden nach Auschwitz verbracht und kamen im
dortigen Konzentrationslager zu Tode. Schüler der Geschwister-Scholl-
Schule in St. Ilgen hatten vor zwei Jahren den Gedenkstein geschaffen,
das Mahnmal soll nach Fertigstellung des neuen Rathauses dort seinen
Platz finden. „Es ist die Wortwahl von damals, die heute wieder Raum
greift und menschenverachtendes Gedankengut verbreitet“, mahnte Ernst
mit Blick auf die aktuellen Kundgebungen in der Republik.
Die Familie
Ziskind, Verwandte der damals aus Leimen Deportierten, ist heute in den
USA wohnhaft. Die Ziskinds ließen einen Brief überbringen, den Martin
Delfosse vorlas. Sie warnen davor wegzuschauen, wenn auch heute noch
überall auf der Welt Verbrechen und Völkermorde geschehen. Elie Wiesel,
Überlebender des Holocausts und Nobelpreisträger, wurde in dem Brief
zitiert: „Ich habe geschworen, nie leise zu sein, wann immer und
gleichgültig, wo Menschen Leid und Erniedrigung erdulden müssen.“
Das nahm
der Oberbürgermeister zum Anlass, auf die gegenwärtige Situation zu
sprechen zu kommen. Man solle helfen, wenn Menschen auf der Flucht
seien, so Ernst. In stillem Gedenken wurde die Andacht an die Opfer des
Judenmordes, des Holocausts und der Naziherrschaft beschlossen, Tom
Flor und Jürgen Mauter umrahmten mit Gitarrenmusik von Anna Magdalena
Bach die Feier.
Ökumenischer
Gottesdienst am
22.Oktober 2015 zum 75.Jahrestag der Deportation
Am
22.Oktober 2015 fand in der Evangelischen Mauritiuskirche ein
ökumenischer Gedenkgottesdienst statt, der an die schrecklichen
Ereignisse der Deportation aller Jüdinnen und Juden aus Baden, der
Pfalz und dem Saarland in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich
erinnerte. Dabei wurde insbesondere der jüdischen Mitbürger aus Leimen
gedacht, an Hugo Mayer und seine Frau Karolina, sowie Karoline Bierig
und ihre Tochter Selma, die am 22.Oktober 1940 noch in der
Rohrbacherstraße mit der heutigen Hausnummer 12 lebten und bald nach
ihrer Deportation ermordet wurden.
Vorbereitet
und gestaltet wurde der Gottesdienst von Pfarrer Jörg Geißler und
Pfarrer Arul Lourdu zusammen mit den Mitgliedern des Mahnmal-Projektes
Leimen Katharina Belman, Anastasia Gammermajster, Sabina Kinderknecht
und Martin Delfosse, sowie dem Organisten Michael A. Müller, der mit
einem besonderen Orgelstück von Olivier Messiaen die verzweifelte Lage
der damaligen Menschen jüdischen Glaubens dramatisch vergegenwärtigte.

Pfarrer
Jörg Geißler übernahm in einer Meditation zu Psalm 59 die Perspektive
eines Betroffenen und trug die eindringlichen Worte von Wolfgang Kahler
vor: „Immer weiter knurren sie zähnefletschend; sie werden nicht satt.
Erst haben sie uns die Rechte genommen, dann uns verachtet und entehrt.
Wohnungen geplündert, Schaufenster eingeworfen, Gotteshäuser
angezündet, Menschen verschleppt und gemordet. Jetzt stürmen sie vor,
stellen sich auf und kläffen wie Hunde: Morgen, eintreffen auf dem
Bahnhof! Nur ein Koffer mit Sachen darf mitgenommen werden! Mehr nicht!
Wer zuwider handelt, wird sofort bestraft!“
Sabina
Kinderknecht und Andastasia Gammermajster lasen daraufhin Auszüge aus
Briefen vor, die bald nach der Ankunft in Gurs von den Leimener Juden
geschrieben wurden und die ihre Not und Verzweiflung zwischen den von
der Zensur bedrohten Zeilen zum Ausdruck brachten. In einem Brief von
Selma Bierig vom 31.10.1940 war zu hören: „Mit unsrer Reise hierher
ging das sehr schnell. Wir wurden morgens um ½ 8 Uhr geweckt, bekamen
gesagt wir sollen packen und wurden mittags mit dem Auto nach
Heidelberg an den Zug gebracht. ... konnten ... fast alles packen,
sodass wir hier wenigstens keine Kleider u. Schuhe kaufen brauchen….
doch gibt es viele Leute die auch dies benötigen. .....Unser Absender
... Camp de Gurs, Ilȏt I Baraque 23.“
Pfarrer
Jörg Geißler, Pfarrer Arul Lourdu und Martin Delfosse beendeten
schließlich den ökumenischen Gedenkgottesdienst mit einem Buß- und
Fürbittgebet, in dem auch auf die Lage der heutigen Flüchtlinge
jedweder Religion aus den Krisengebieten unserer Erde hingewiesen
wurde, genauso wie dies auch Linda Ziskind, die in New York lebende
Nachfahrin der Leimener Juden, in ihrem Grußwort zum Ausdruck brachte,
das Martin Delfosse nach dem Gottesdienst am Mahnmal im Foyer des Alten
Rathauses verlas:
„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte, die mit den
Juden in Baden passiert ist, nie vergessen. Aber ich glaube, wenn wir
wirklich ihr Gedächtnis in Ehren halten wollen, müssen wir mehr tun als
nur erinnern und gedenken. Wir müssen anerkennen, dass Verfolgung,
Gewalt und Völkermord Verbrechen sind, die auch heute noch passieren,
und sie geschehen gut sichtbar, in aller Öffentlichkeit, auch wenn
einige sich entscheiden, wegzuschauen. Egal ob es uns passiert,
jemandem, den wir kennen oder einem Fremden, es bleibt unsere
Angelegenheit. In der Dankesrede für seinen Friedensnobelpreis schrieb
Autor und Friedensaktivist Elie Wiesel 1986, ‘Ich habe geschworen, nie
leise zu sein, wann immer und gleichgültig wo Menschen Leid und
Erniedrigung erdulden müssen.’ Ich hoffe, dass wir bei der heutigen
Gedenkfeier diese Erkenntnis gewinnen, und dass die Erinnerungen an
damals vor 75 Jahren uns dazu inspirieren, den Menschen zu helfen, die
heute in Not sind. Danke.“
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