Bericht vom Oktober 2014
70
Jahre lang
Am
9.November 2013 wurde nun endlich das Mahnmal zur Erinnerung an die
Juden, die am 22.Oktober 1940 aus Leimen nach Gurs in Südfrankreich
verschleppt wurden, mit einer bewegenden Feier im Foyer des
Seligmann-Palais eingeweiht. Eigens zu dieser Gedenkfeier sind die
Nachfahren der Leimener Juden aus Amerika angereist. Linda Ziskind, die
Stiefurenkelin von Hugo und Karolina Mayer, die von ihrem Mann David
begleitet wurde, und ihre zwei Cousins Bruce und Richard Ehrmann. Sie
folgten mit großer Freude und Dankbarkeit einer Einladung, welche die
Mitglieder des Mahnmal-Projektes Katharina Belman, Anastasia
Gammermajster und Sabina Kinderknecht unter Leitung ihres Lehrers
Martin Delfosse ausgesprochen hatten, und der sich die Stadt Leimen
angeschlossen hat.
v.l.n.r.:
David Ziskind, Bruce Ehrmann, Linda Ziskind, Richard Ehrmann

v.l.n.r.:
Martin Delfosse, Sabina
Kinderknecht, Anastasia Gammermajster, Katharina Belman mit Steinmetz
Udo Baumgärtner
In einer kleinen Zeremonie wurde nach einer
Rede des Oberbürgermeisters Wolfgang Ernst und unter Mitwirkung von
Vladimir Rivkin und seiner Frau von der Musikschule Leimen den vier
jüdischen Opfern der Deportation gedacht, indem die drei ehemaligen
Schülerinnen der GSS-St.Ilgen vier Kerzen entzündeten und so den
jüdischen Opfern ihren Namen und ihre Würde symbolisch zurückgaben.
Neben einem Gebet für den Frieden, das der Pfarrer der Katholischen
Seelsorgeeinheit Arul Lourdu sprach, und dem Bekenntnis von Scham und
Schuld durch Pfarrer Steffen Groß, war die Rede von Linda Ziskind der
Höhepunkt dieser Gedenkfeier. Im Zentrum ihrer Dankesrede stand der
Hinweis auf das umfangreiche schriftliche Zeugnis ihrer Urgroßeltern.
Die vielen Briefe aus Leimen und den Lagern Gurs und Noé erzählen die
Geschichte ihres langen Leidens und Sterbens und geben Einblick in ihre
Hoffnungen, Wünsche und Enttäuschungen.
70
Jahre lang lagen diese Briefe, welche in Folge der brutalen Gewalt der
menschenverachtenden Naziideologie durch Deportation und Internierung
von den jüdischen Opfern geschrieben wurden, nahezu unberührt in einem
Karton verpackt. 70 Jahre lang interessierte sich niemand für diese
Dokumente. 70 Jahre lang wollte man sich in Leimen nicht mit diesem
dunklen Kapitel der Leimener Ortsgeschichte beschäftigen. 70 Jahre lang
… bis drei Schülerinnen am Holocaust-Gedenktag am 27.Januar 2010 in
Amerika bei den Nachfahren anriefen, weil sie sich entschlossen hatten,
sich dieser längst überfälligen Erinnerungsarbeit zu stellen. Es stimmt
traurig, dass die Kinder von Hugo und Karolina Mayer, die sich zu ihren
Lebzeiten ein solches Engagement aus der Leimener Bevölkerung gewünscht
hatten, dies nicht mehr erleben konnten. Friedel Ehrmann verstarb im
Jahr 2003 und Kurt Mayer verstarb im Jahr 2007. Doch die Anwesenheit
der Urenkel bei dieser Gedenkfeier zeigte die große Dankbarkeit der
Nachfahren für diese Geste der Erinnerung und Versöhnung, welche die
drei Schülerinnen stellvertretend für die Leimener Bevölkerung in die
Tat umgesetzt und in Stein gemeißelt haben.
In der Gedenkfeier
erhielten die jüdischen Opfer ihre Namen und ihre Würde zurück. In der
gleichzeitigen Veröffentlichung aller ihrer schriftlichen Zeugnisse auf
der Internetseite www.mahnmal-projekt-leimen.de,
welche mit Zustimmung
und auf ausdrücklichen Wunsch der Nachfahren erfolgte, erhielten die
jüdischen Opfer auch ihre Stimmen zurück. Wer ihre Stimmen vernimmt,
wird unweigerlich zur Erkenntnis und zur bleibenden Aufgabe geleitet,
sich einzusetzen gegen Rassismus, Fremdenhass, Intoleranz und
Diskriminierung jedweder Art, damit so etwas nie wieder passieren kann.
Zum
74. Jahrestag der Deportation hatte die Stadt Leimen am 21.Oktober 2014
um 18:00 Uhr zu einem kurzen "Stillen Gedenken" eingeladen. Daran
nahmen lediglich eine Handvoll Bürgerinnen und Bürger teil. Die
Berichterstattung der Rhein-Neckar-Zeitung dazu kann untenstehend
eingesehen werden.
RNZ-Artikel
vom 24.10.2014 zum "Stillen Gedenken" der Stadt Leimen
Vier Leimener wurden von den Nazis grausam ermordet
Am 74. Jahrestag der Deportation nach Gurs hatte die Stadt zum Stillen
Gedenken eingeladen
Von
Sabine Geschwill
Leimen.
„Vor 74 Jahren wurden alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger Badens und
der Pfalz nach Gurs verschleppt“, erinnerte Oberbürgermeister Wolfgang
Ernst. Unter ihnen waren auch vier Mitbürger aus Leimen: Hugo und
Karolina Mayer sowie Karoline Bierig und ihre Tochter Selma wurden in
das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen in Südfrankreich
deportiert. In Erinnerung an die ermordeten jüdischen Mitbürger in der
Zeit der Naziherrschaft hat die Stadt zum Jahrestag ihrer Deportation
ins Foyer des Rathauses eingeladen.
„Nur wenige der über 6000 Deportierten überlebten“, sagte Ernst. „Viele
starben in Gurs, die meisten anderen wurden später in die
Vernichtungslager im Osten gebracht und dort ermordet.“ Hugo Mayer
starb in Gurs, die anderen Leimener Juden in Auschwitz. „Auch heute
darf diese Erinnerung nicht ausbleiben“, betonte der Oberbürgermeister.
„Es ist eine Mahnung an uns alle, gegen Rassismus und Verfolgung
Andersdenkender und Andersgläubiger aufzustehen.“
Vor einem Jahr wurde für die vier 1940 verschleppten und ermordeten
Leimener im Foyer des historischen Rathauses ein besonderer Ort des
Gedenkens geschaffen. Drei ehemalige Schülerinnen der Geschwister-
Scholl-Schule hatten im Rahmen eines Schulprojekts die Geschichte der
vier Opfer aus Leimen erforscht und der Öffentlichkeit präsentiert.
Zusammen mit dem Leimener Steinmetz Udo Baumgärtner wurde dann ein
Gedenkstein aus Sandstein geschaffen, der stets an die Tragödie
erinnern soll.
Ein Pendant dieses Gedenksteins hat seinen Platz in Neckarzimmern
gefunden. Dort wurde eine Gedenkstätte für alle Verschleppten der 137
badischen Gemeinden eingerichtet. Der Leimener Gedenkstein soll nach
Abschluss der Bauarbeiten im Bereich des Rathausplatzes seinen Platz
finden. Dort stand bis zum Jahr 1905 die Leimener Synagoge. Musikalisch
untermalt wurde das „Stille Gedenken“ von der Musikschule Leimen.
Bei der Gelegenheit wies OB Ernst auf einen Termin hin, der ihm sehr am
Herzen lag: Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, in der 1938
die jüdischen Synagogen in Flammen aufgingen, laden Leimener Chöre zu
einem Benefizkonzert in die Aegidiushalle ein. Der Erlös soll
Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu Gute kommen, die derzeit in der
Region eine Zuflucht gefunden haben.
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